Freitag, 27. März 2015

Montag bis Freitag, 09. - 13.03.2015: Neue Gruppe, neues Glück

Am Montag hatte ich meine erste Präsentation über den Fall der Berliner Mauer. Nun ja, 4 Präsentationen. Aber das war okay. Ich fuhr also mit Polskibus nach Radom und eine Lehrerin brachte mich vom Bahnhof zu der Oberschule. Es ist eine Art Liceum, das anstatt 3er Jahre 4 Jahre lang geht. Die Schüler absolvieren dabei nicht nur ihre Matura, sondern lernen gleichzeitig noch einen Beruf, etwa Koch oder Rezeptionist. Da es einen Tag nach dem internationalen Frauentag war, hatten viele Jungs Tulpen oder Süßigkeiten für ihre Lehrerinnen und Mitschülerinnen mitgebracht, was ich so in Deutschland auch noch nie gesehen habe. 
Mal davon abgesehen, dass in jeder Präsentation etwas nicht funktionierte – mal der Video-Player, mal das Internet, dann fuhr sich der Laptop in der Mitte der Präsentation einfach herunter – waren die Präsentationen sehr gut, die Schüler interessiert oder zumindest ruhig und überdies sehr freundlich und zuvorkommend.

Am Dienstag hatte ich dann meinen ersten Arbeitstag in meiner neuen Gruppe. Wir haben die neue Regel eingeführt, dass Francesco und ich jede Woche die Gruppen tauschen, wenn ich hatte mich in meiner Gruppe zu sehr gelangweilt und ihm waren die quirligen Kinder seiner Gruppe über den Kopf gewachsen. Der Wechsel war in der Tat das Beste, was mir passieren konnte. In meiner neuen, grünen Gruppe sind einige Kinder, die sogar sprechen können. Und vor allem Dingen spielen die Kindern.
Wir haben zum Beispiel ein Kind, Maja, welches sehr schüchtern ist. Wenn unsere Lehrerin etwas mit ihr arbeiten will, senkt sie immer ihren Kopf und reagiert nicht. Ich hatte aber das Glück, dass sie auf meine Versuche, etwas mit ihr zu machen, reagierte und mich gleich durch den ganzen Raum führte, mich zum Tee einlud und mit mir Ball spielte. 
Dann haben wir Lila, ein süßes Mädchen, das zwar sprechen kann, aber nicht logisch. Sie wiederholt lediglich, was man ihr vorsagt. Das ist praktisch, weil sie alle Lieder auswendig mitsingen kann. Aber manchmal ist es auch anstrengend, z.B. wenn wir im Theater sind und sie das ganze Stück (zugegebenermaßen sehr laut) nachspricht. Sie liebt es, Bälle herumzuwerfen, zu allen anderen Spielzeugen sagt sie aber sehr konsequent nein und fängt auch an zu quengeln, wenn man versucht sie doch zum Spielen zu bewegen. Auch beim Kaffeetrinken hat sie sehr seltsame Essgewohnheiten. Einmal gab es ein Küchlein in Bärform. Als sie sah, wie wir den Bären in kleine Stückchen zerrüpfen, fing sie an zu schreien und wollte den Kuchen partout nicht essen. Ein ander Mal wollte sie ihr Brot aus einer Schale essen. Das nächste Mal mussten wir ihr den Joghurt auf dem Teller servieren.
Wir haben auch drei Jungs, die in Waisenhäusern wohnen. Einer, Kacper, ist hyperaktiv. Er rennt den ganzen ganzen Tag durch den Raum, klettert die Fensterbänke hoch, hört auf keine Regeln und spuckt alle an, die ihm etwas vorzuschreiben versuchen. Olek hingegen ist sehr clever, er ist 6 Jahre alt und lernt gerade lesen. Er spricht gern und viel, besonders gern über Formel-1-Wägen. Und dann haben wir noch Piotrek, unser einziges Kind mit Down-Syndrom. Er kann nicht sprechen, artikuliert sich aber immer sehr stark mit Lauten, die leider niemand versteht. Je länger ich mit ihm arbeite, desto mehr verstehe ich aber, was er will und kann mit ihm kommunizieren.

Am Freitag ging ich nach dem Mittagessen zurück in meine alte Gruppe, um bei der Gruppentherapie zu helfen. Thema der Stunde war Wäschewaschen. Jedes Kind zog zwei Wäschestücke aus einem Sack, und bestimmte mithilfe von  Piktogrammen, was es war (Jacke, Hose, Rock etc.). An diesem Tag waren nur 3 Kinder da und alle drei arbeiteten großartig mit. Nach der Bestimmung wurde gewaschen. In der ersten Runde per Hand. In einer Schüssel mit Wasser und mit etwas Seife wuschen wir tatsächlich Schal und Hose und hingen es danach auf der Wäscheleine auf, um es trocknen zu lassen. Die zweite Runde Wäsche steckten wir in eine Mini-Waschmaschine. Per Kurbel konnte man sogar die Trommel sich drehen lassen. Es war eine wundervolle Erfahrung ... nicht nur für die Kinder, die es wirklich genossen.

Sonntag, 15. März 2015

Sonntag bis Sonntag, 22.02. - 01.03.2015: Die unglaubliche Reise 3er deutscher Mädchen durch Georgien und Armenien


Schon bei unserer Abreise war uns das Schicksal nicht besonders hold. Als wir gerade aus der Tür treten wollten riss der Riemen von Frederikes Rucksack (nun ja, von meinem Rucksack, den sie sich geliehen hatten, um mit „kleinem Handgepäck“ reisen zu können). Wir versuchten das Leck zwar metallreich zu tackern, aber beim erneuten aufhucken ließ das Reißen von Stoffgewebe uns an der Haltbarkeit der Konstruktion zweifeln und so packte Freddi schnell ihre Sachen in einen anderen, größeren Rucksack um und wir machten uns, nun schon in Eile, auf den Weg zur Metro. Eigentlich hatten wir noch Geld abheben wollen, das schenkten wir uns aber angesichts der Tatsache, dass wir später an unserer Metro ankamen als der Bus zwei Stationen weiter abfahren sollte.
Da Busse in Warschau aber wie in Deutschland natürlich nicht immer pünktlich sind, kamen wir wie geplant rechtzeitig am Flughafen an. Da wir schon online eingecheckt hatten, konnten wir uns gleich an der endlos langen Schlange für die Sicherheitskontrolle anstellen. Aus Unsicherheit, ob man nicht abgepackte Nahrungsmittel mit in den Flieger nehmen dürfe, vertrieben wir uns die Wartezeit damit unsere Gemüsevorräte aufzuessen. In der Duty-free-Zone versuchten wir dann nochmals unser Glück mit dem Bankautomaten, der uns allerdings mit unseren deutschen Bankkarten nicht gestattete Euro abzuheben, während das mit polnischen Konten anscheinend kein Problem war. Mit viel zu wenig Bargeld erreichten wir also genau zur rechten Zeit unser Gate und waren die ersten beim Einchecken. Es sollte sich außerdem herausstellen, dass all unsere Sorgen über „große“ und „kleine“ Gepäckstücke umsonst gewesen waren, denn niemand interessierte sich auch nur die Bohne für das, was wir mit uns trugen.
Der Flug mit dem ungarischen Zweig der Billigfluglinie WizzAir gestaltete sich als besonders langweilig und anstrengend, zumal es nicht einmal kostenlose Getränke gab. So blieb uns nichts anderes übrig als die Hälfte unserer Erdnusspackung wegzuschnabulieren und von einem halben Liter Wasser zu zehren.
Da waren wir also, in Kutaissi, in Georgien, auf einem leer gefegten Flughafen mit einer winzigen Ankunftshalle. Die Einreise verlief mehr oder minder problemlos. Nur Martha hatte mit ihrem Pass zu kämpfen, den sie in der Deutschen Botschaft in Warschau ausgestellt bekommen hatte und der deshalb eine andere Farbe und Form aufwies. Man ließ uns trotzdem uns Land und Frederike und ich bekamen sogar eine Flasche guten georgischen Weines geschenkt … von der Regierung. So was würde Deutschland im Traum nicht einfallen …
Dann quatschten uns schon zehn Taxifahrer an, wo wir denn hin wollten. In die Hauptstadt Tiflis. Wir entschieden uns aber für eine Fahrt im Minivan. Glücklicherweise ergatterten wir die letzten drei Plätze, auch wenn diese sehr über den Bus verstreut waren. So kam es, dass Frederike recht angeregte Gespräche mit ihrem georgischen Sitznachbarn führen konnte und auch Bekanntschaft mit einem georgischen Dänen machte, der uns später ein Taxi nach Rustavi organisierte, wo wir übernachten wollten. Ja, dieser Taxifahrer zeigte uns gleich zu Beginn dass in Georgien eine etwas andere Fahrkultur herrscht als in Deutschland oder Polen oder sonst irgendwo auf der Welt. Die Straße war einfach nur breit, aber wenn man Fahrbahnlinien oder überhaupt eine Mittellinie finden wollte, musste man schon sehr viel Fantasie haben, denn nach so etwas sucht man selbst dort in der Hauptstart vergebens. Wie ein Berserker hetzte der rauchende Schlot durch die Nacht, bekreuzigte sich beim Anblick jeder Kirche 5x (anstatt der anscheinend üblichen 3x) und ließ seine Hand über eine Auswahl an Heiligenbildern gleiten, bevor sie das Kreuz erreichte, das vom Rückspiegel baumelte.
Dennoch setzte er uns sicher in der Kleinstadt südlich von Tiflis ab, in der des Nachts Kühe und Pferde einfach so fröhlich auf der Straße herumspazieren. Die beiden deutschen Mädels, die uns beherbergten, auch EVS-Freiwillige, waren extra noch einmal aufgestanden, um uns herein zu lassen, denn mit 3h Zeitverschiebung zu Polen kamen wir nach georgischer Zeit etwa um 4 Uhr morgens, wenn nicht sogar später, an.

Am nächsten Morgen erwartete uns nach einer wohltuenden Portion Schlaf ein gesundes und stärkendes Frühstück, wir wurden noch mit ein paar Informationen über Orientierung in der Stadt und sehenswerten Orten ausgestattet und schon brachen wir, nachdem wir ein bisschen Geld getauscht und unsere georgische Telefonkarte, die uns am Flughafen einfach so zugesteckt worden war, aufgeladen hatten, mit einer Marschrutka in die Innenstadt auf. Marschrutkas sind Kleinbus-Sammeltaxis. Sie fahren los, wenn sie voll oder zumindest gut gefüllt sind, rechte Abfahrtszeiten gibt es also nicht. Es gibt zwar einige Haltestellen, prinzipiell kann man aber aussteigen, wo man will, man muss es dem Fahrer nur verständlich machen. Bezahlt wird, zumindest in Tiflis, beim Aussteigen, möglichst passend, denn die Fahrer haben meistens keine Nerven zum Wechseln. Für den Innenstadtverkehr in Tiflis zahlten wir 50 Tetri pro Fahrt, was etwa 20 Cent entspricht. Das aus dem russischen übernommene Wort Marschrutka (Маршрутка) lehnt sich übrigens an das deutsche Wort „Marschroute“ an (welches wiederum aus dem Französischen kommt, aber man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst).
Am Hauptbahnhof, den wir zuerst ansteuerten um Tickets nach Jerewan zu kaufen, stellten wir schnell fest, das die von uns herausgesuchte Zugverbindung nur alle zwei Tage und natürlich nicht am von uns vorgesehenen Tag verkehrte. So mussten wir gezwungenermaßen umplanen und uns auf dem Busplatz nach einer Marschrutka in die armenische Hauptstadt erkundigen. Da Georgier sehr offene Persönchen sind, wurden wir auch schnell angequatscht und man wies uns den Weg zu einem Kleinbus mit Endstation Jerewan. Für 30 Lari hätten wir sofort einsteigen können. (Für einen Euro bekommt man im Moment übrigens etwa 2,5 Lari. Ein Lari wird wiederum in 100 Tetri unterteilt.) Wir fragten also, wann am nächsten Tag der letzte Bus fuhr und der Fahrer gab uns nicht nur seine Karte, denn für lange Reisen reserviert man besser ein Plätzchen vor, sondern wollte auch noch Handynummern mit uns austauschen. Wir fanden das fast ein bisschen aufdringlich, aber ich denke, dass das für Georgier eher selbstverständlich ist, für jemanden zu sorgen. Ich meine, natürlich wollte der Busfahrer Leute finden, die mit ihm fahren. Aber er wollte uns eben auch informieren und sich um uns sorgen können – eine nette Geste, die wir verstockten Westeuropäer zu schnell falsch interpretieren.
Mit der Metro machten wir uns wieder auf den Weg in die Innenstadt. An jeder Station stiegen Kinder ein, die bettelten. Wir wurden besonders bedrängt, weil wir sichtlich europäisch aussahen. Einem Mädchen gaben wir schließlich mehr oder weniger freiwillig eine unserer Wasserflaschen, bevor wir am liberty square ausstiegen, um uns dort mit Hanna, einer unserer Gastgeberinnen, zu treffen, die überraschenderweise an diesem Tag doch nicht arbeiten musste. Am Ausgang der Metro schlugen wir bei schönsten Sonnenschein erst einmal die völlig falsche Richtung ein, weil wir dummtreu der Ausschilderung folgten anstatt zuvor mal nach rechts und links zu schauen. Gelohnt hatte sich der kleine Umweg aber schon deswegen, weil er uns an einem netten Pärkchen und der fröhlichen Werbung einer Bar „Don't worry, don't cry, drink Vodka and fly“ vorbeiführte.

In einer Marschrutka: Falls es voll ist,
kann man weitere Sitze herunterklappen.

Die georgische Flagge



Der Heilige Georg kämpft auf dem Freiheitsplatz mit dem Drachen.

Am Freiheitsplatz ragt auf einer hohen Säule ein goldener, mit dem Drachen kämpfender Georg empor. Der Heilige Georg ist der Schutzpatron Georgiens und man könnte meinen auch der Namensgeber, in vielen Sprachen heißt Georgien aber nach dem russischen Vorbild Грузия (Grusija) und die Georgier selbst nennen ihr Land Sakartwelo. Auf einen allgemeinen Zusammenhang ist also nicht schließbar.
Wir liefen die schöne, alte Leselidze-Straße entlang, gönnten uns ein Blätterteig-Chatschapuri, ein mit Salzkäse gefülltes und überbackenes Brot, und kamen am Maidan heraus, um mit der Kura (georgisch: Mtkwari) den längsten Fluss in Georgien zu überqueren. Vom in den letzten Jahren angelegten Europaplatz aus brachte uns die Seilbahn hoch zur Mutter Georgiens. Die Statur wurde 1958 aus Anlass des 1500. Jubiläums der Stadt errichtet. In der linken Hand hält sie eine Schale Wein für Freunde, in der rechten ein Schwert, um die Stadt und das ganze Land gegen Feinde zu verteidigen. Unweit des Monuments befinden sich die Ruinen der Festung Nariqala, deren Name auf Persisch „uneinnehmbare Burg“ bedeutet und im 3. Jahrhundert zur militärischen Verteidigung von Tiflis errichtet wurde. Insgesamt 4 Mal wurden die Mauern von verschiedenen Eroberern zerstört und wieder aufgebaut. Zuletzt explodierte durch einen Blitzeinschlag 1827 das Pulvermagazin, was große Teile der Festung einstürzen ließ. Weil Georgien zu dieser Zeit gerade unter russischer Besatzung stand, wurden keine Renovierungsarbeiten vorgenommen, weshalb man heute nur die Ruinen besichtigen kann. Von den erklimmbaren Zinnen hat man allerdings einen großartigen Ausblick über die Stadt, was die Burg und die darin stehende Nariqala-Kirche für Touristen und Heiratende sehr beliebt macht.

Leselidze-Straße

Blick auf die Altstadt und die Friedensbrücke

Die Mutter Georgiens


Links im Bild die Nariqala-Kirche

Der Abstieg, den wir zu Fuß wagten, führte uns zu den alten Schwefelbädern. Es rankt sich die Sage, dass König Wachtang I. dort auf der Jagd einen Fasan erlegte, der in die heißen Schwefelquellen fiel und sofort gar gekocht wurde (oder die Version für die Vegetarier: der Fasan fiel in die Quellen und wurde vom sprudelnden Wasser geheilt). Aus diesem Anlass ließ Wachtang an diesem Ort 485 eine Siedlung errichten, die den Namen Tbilissi, vom georgischen Wort tbili (warm), erhielt. Historisch wurde die Stadt allerdings schon im 4. Jahrhundert auf römischen Karten unter dem Namen Pilado erwähnt, König Wachtang I. befreite sie im 5. Jahrhundert lediglich von den persischen Besatzern und machte sie anschließend zu seiner Hauptstadt.
Heute sind noch etwa 8 der 65 Schwefelbäder in Benutzung. Sie zeichnen sich durch halbkugelige Kuppeln aus und sind im Inneren reich mit Marmor ausgekleidet. In kleinen, mietbaren Räumen kann man sich das zwischen 37 °C und 47 °C warme Wasser sowie Massagen wohl bekommen lassen. Die typisch georgische Massage beinhaltet das Entfernen alter Haut mit einem Pferdehaarhandschuh, die Massage von Armen, Rücken und Beinen sowie kräftige Warmwassergüsse zum Schluss. Die Chlor-, Natrium- und Schwefelwasserstoffionen sind besonders wirksam zum Kurieren von Osteoporose, Hautproblemen und neurologischen sowie urologischen Störungen.

Schwefelbad von außen ...

... und von innen

Endlich stiegen wir zur Metechi-Kirche und dem über Tiflis wachenden Wachtang auf. Dort trafen wir uns mit Sandro, dem Freund von Hanna, der von seiner Arbeit aus dem Botanischen Garten, welcher zu Füßen der Niraqala-Festung liegt und mit über 128 ha der größten Botanische Garten in der Sowjetunion war, zurückgekehrt war. In der orthodoxen Kirche aus dem 13. Jahrhundert fand gerade ein mehrstündiger Gottesdienst statt. Es gab einen Chor und Schriftlesungen, die Menschen liefen frei im Kirchenraum umher, zündeten Kerzen an und statteten den ihnen wichtigen Ikonen einen Besuch ab. Einst stand das Gebäude inmitten der königlichen Residenz, welche unter russischer Besatzung als Gefängnis, u.a. für Josef Stalin, genutzt wurde, bevor diese abgerissen wurde. Die Reiterstatur des Wachtang wurde 1967 vom gleichen Bildhauer geschaffen, der auch die Mutter Georgiens entworfen hat.

Wachtang I. neben der Metechi-Kirche

Im Inneren der Georgisch-Orthodoxen Apostelkirche

Die große Mehrheit der Georgier bekennt sich zur Georgisch-Orthodoxen Apostelkirche. Schon 337 wurde das Christentum zur Staatsreligion erklärt und bis heute hat sich daran trotz der gesetzlich zugesicherten Religionsfreiheit nicht so viel geändert, werden der georgischen Orthodoxie doch als einziger Religionsgemeinschaft Zusatzrechte wie Steuerfreiheit und eine öffentlich-rechtliche Organisationsform zugebilligt, wodurch sie eine unübersehbare Sonderstellung inne hat. Etwa 10% der Bevölkerung sind Muslime, knapp 4% gehören zu verschiedenen christlichen Konfessionen wie der Armenisch-Apostolischen oder Armenisch-Katholischen Kirche. Bis heute kommt es immer wieder zu Übergriffen auf religiöse Minderheiten, weshalb Georgien bis 2004 auf der Liste der Länder stand, in denen Religionsfreiheit am wenigsten gewährleistet wird.
Die herausragende Stellung ihrer Kirche sowie die „Wiederauferstehung“ georgischer Religion und Tradition betonen die Tifliser mit der relativ neuen Samebakathedrale. Sie wurde erst 204 fertiggestellt und ist mit 84 m das höchste Kirchengebäude in Georgien. Die goldenen Kuppel trägt ein 7,5 m hohes, vollständig vergoldetes Kreuz und ist weithin sichtbar. Das Gelände der Kathedrale beherbergt nicht nur den Sitz des georgischen Patriarchen, sondern auch ein Kloster, eine theologische Universität und ein Priesterseminar. Generell richten sich die Georgier sehr nach ihrem Patriarchen, gerade jetzt in der Fastenzeit. Wenn der Katholikos eine neue Fastenregel einführt oder spontan zu einem Tag des Verzichtes aufruft, versuchen sich alle daran zu halten.

Die höchste Kirche in Georgien, die Samebakathedrale



Als wir in der Dreifaltigkeitskathedrale ankamen, liefen gerade die Vorbereitungen für die Beerdigung von Soldaten aus dem Südossetien-Krieg 2008, die exhumiert worden waren und nun auf heimischem Boden ein zweites Mal bestattet wurden. Wir störten also nicht länger und führten unseren Weg fort hin zur peace bridge. Die Brücke ist neu, nur für Fußgänge gedacht und präsentiert sich in sehr modernem Design eines Schildkrötenpanzers. Wir genossen einen Moment die im schnell anbrechenden Dunkel wunderschön beleuchtete Niraqala-Festung und kehrten dann typisch georgisch zum Abendessen ein.

peace bridge

v.l.n.r.: Badrischani, Mschadi, Fladenbrot, Tomaten-Gurken-Salat

Chinkali

Frederike lässt sich die Süßigkeit Tschurtschchela schmecken

Wenn Georgier zusammen essen gehen, bestellen alle zusammen, weshalb es auch keine Einzelgerichte auf georgischen Speisekarten gibt: Man bestellt Salate, Fleisch und Beilagen extra und jeder darf von jedem probieren. Überdies bestellt man stets viel zu viel – Sandro erzählte uns, dass man etwa 1/3 der aufgetragenen Speisen isst und den Rest übrig lässt. Das sahen wir dann auch bald bei unseren Nachbarn, die aufstanden und gingen, obwohl noch ein sehr großer, voller Teller Chinkali herumstand. Chinkali sind Teigtaschen, die mit Gehacktes, Kartoffeln, Käse oder Pilzen gefüllt sind, ähneln also stark den polnischen Piroggen und unterscheiden sich nur in ihrer Form. Wir probierten außerdem Badrischani, eine Vorspeise aus gebratenen und mit einer Nuss-Knoblauch-Paste gefüllten Auberginen. Es gab Mschadi (Maisbrot) und normales Fladenbrot, dazu ein spezieller Tomaten-Gurken-Salat und eine Käseplatte mit den typischen Salzkäsesorten des Kaukasus Suguni, Imeruli und Guda. Als Dessert ist Tschurtschchela beliebt, auf eine Schnur aufgefädelte Wal- oder Haselnüsse, die mehrmals in eine Traubensaft-Konfitüre getaucht und dann zum Trocknen aufgehängt wurden. Man kann es an jeder Straßenecke kaufen und das nicht nur in Georgien, sondern auch in Armenien, Aserbaidschan, der Türkei und Zypern.

Für den nächsten Tag hatten wir uns die antike Hauptstadt Mzcheta als Ausflugsziel ausgesucht. Am Busbahnhof wollten wir uns eigentlich in eine Marschrutka setzen, wurden dann aber von 5 Taxifahrern angequatscht, die uns alle dasselbe anboten, was wir vorgehabt hatten: Erst zum Kloster Dschwari hinauf und dann zur Besichtigung in die Stadt hinunter und das alles nur für 30 Lari … was für ein Schnäppchen …
Das Kloster Dschwari stammt aus dem 6. Jahrhundert und gehört seit 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wegen der fehlenden Renovierungsarbeiten steht die griechisch-orthodoxe Kirche jedoch auf der Roten Liste. Der Legende nach wurde auf dem Berg, auf dem das Kloster steht, bereits im 4. Jahrhundert von der Heiligen Nino, welche das Christentum nach Georgien gebracht haben soll, ein hölzernes Kreuz errichtet. Im Jahr 545 entstand dann unter Fürst Guaram I. eine erste Kapelle, von der heute nur noch Ruinen geblieben sind. Erst Guarams Nachfolger Stefanos Patrikios sowie sein Bruder Demetre und dessen Sohn Adarnase errichteten die heute noch erhaltene Kreuzkirche mit 25 m Höhe sowie 20 m Länge und 16,5 m Breite. Vom Plateau aus hat man eine gute Sicht auf die Stadt, die am Zusammenfluss der beiden Flüsse Mtkwari und Aragwi liegt. Manchmal kann man die unterschiedliche Farbe der beiden Wasserträger und deren Zusammenflusslinie genau ausmachen.

Kloster Dschwari


Ruinen der Kapelle Fürst Guarams I. aus dem 6. Jh.

Blick auf Mzcheta und den Zusammenfluss von Mtkwari und Aragwi

Als wir in Mzcheta ankamen, war die Stadt wie ausgestorben. Auf dem großen Parkplatz standen mehr Souvenirs verkaufende Standbesitzer als Autos. In der Zugangsstraße zur Stadt waren Bauarbeiten im vollen Gange und überall versperrten Holz- und Putzreste den Weg. Erst an der Touristenattraktion, der Swetizchoweli-Kathedrale angekommen, begann das 3000 Jahre alte, religiöse Zentrum Georgiens seine ganze Schönheit zu zeigen. Nach einem Spaziergang durch den weitläufigen Innenhof der „Kathedrale der lebensspendenden Säule“ besuchten wir die Kirche aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts. Bereits im 4. Jahrhundert soll die Heilige Nino hier die erste Kirche Georgiens errichtet haben. Als Begründung für ihre Ortswahl zog sie wohl eine alte Erzählung heran, nach der ein georgischer Jude nach Jerusalem reiste, um für Jesus zu sprechen, aber zu spät kam und nur noch dessen Kreuzigung erlebte. Dafür kaufte er den Soldaten das Gewand Jesu ab und brachte es mit nach Hause. Dort soll es seine Schwester an sich gedrückt haben und sofort gestorben sein. Das Gewand hielt sie jedoch so fest umklammert, dass man es ihr nicht aus den Händen nehmen konnte und so wurde sie damit begraben. Über der Grabstätte wuchs eine Zeder. Die Heilige Nino nun ließ die Zeder abholzen, um die Kathedrale über dem Grab bauen lassen zu können und schuf aus dem Zedernholz eine Säule, welche sich aber nicht aufrichten ließ. Erst, nachdem sie eine Nacht lang gebetet hatte, kam ein Engel und richtete die Säule auf, sodass der Kirchenbau vollendet werden konnte. Später trat aus der Holzsäule eine harzige Flüssigkeit aus, die die Gabe hatte, Krankheiten zu heilen, weshalb die Kirche den Namen Swetizchoweli, „lebensspendende Säule“ erhielt.
Im 5. Jahrhundert soll auch König Wachtang I. eine Basilika errichtet haben. Fundamente dieses Baus fand man tatsächlich bei Renovierungsarbeiten in den 70er Jahren. Die 5 m hohen Mauern, die 1787 zu Wehrzwecken gebaut wurden, bilden heute einen großen Hof um die Kirche, der von den dort lebenden Mönchen u.a. mit Beeten bewirtschaftet wird. Jahrhundertelang diente die Kathedrale als Krönungs- und Begräbniskirche für die georgischen Könige sowie als Hauptkirche der Georgisch-Orthodoxen Religion. Noch heute hat der georgische Patriarch hier seinen Sitz.

In Mzcheta mit dem Kloster Dschwari im Hintergrund


Im Innenhof der Kathedrale



Die vielen Fresken, mit denen der Kircheninnenraum einst ausgeschmückt war, waren 1830 allesamt aus Anlass eines Besuches des russischen Zaren übertüncht worden und wurden erst in den letzten Jahren wieder freigelegt. Wie das Kloster Dschwari gehört Swetizchoweli seit 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Wir kehrten schließlich nach Tiflis zurück, gaben unserem wirklich netten Taxifahrer noch ein Trinkgeld und warteten auf unsere Marschrutka nach Armenien. Der Minivan war voll: Zwei alte Frauen, eine junge, ein Pakistani aus London und wir drei plus Fahrer wagten die fünfstündige Reise durch Nebel und Nacht. Wir passiertes die Grenze zum Glück noch bei Tageslicht. Zuerst mussten wir aus Georgien „auschecken“, was auch relativ problemlos lief. Dann fuhren wir eine Weile durchs Niemandsland, um an der armenischen Grenzkontrolle noch einmal unsere Pässe vorzulegen. Und schon ging das Drama wieder los: Der Beamte wollte bei Gott nicht glauben, dass das, was Martha ihm da gab, ein Pass sei. Ein Kinderpass vielleicht? Ein … Spielzeugpass? Er ging fort, telefonierte, kam wieder, rief noch jemandem zum Schauen her, verschwand noch einmal … nun, letztendlich ließ man Martha natürlich auch passieren und schwuppdiwupp hatten wir einen schönen, roten, armenischen Stempel in unserem Pass.
Den Rest der Fahrt vertrieben wir uns mit Schlafen und dem Essen unseres leckeren, georgischen Brotes. Der Weg durch die Berge mäandrierte sehr stark und unser Fahrer hatte seinen Führerschein ganz offensichtlich in Georgien gemacht, er drückte nämlich immer schön auf die Tube und achtete weder auf den Untergrund, noch auf die Kurven oder den Gegenverkehr. Das letzte Problem war die Frage, wo genau wir ankommen würden – am Hauptbusbahnhof. Mal davon abgesehen, dass Jerewan viele Busbahnhöfe hat und keiner davon „Haupt-“ ist, schafften wir es durch die Hilfe unserer Mitreisenden per Taxi zu dem Ort zu gelangen, an dem Suzi auf uns wartete, und schließlich in ihren Wohnblock marschieren und uns ausruhen zu können. Gemäß armenischer Gastfreundschaft wurden wir jedoch erst einmal von einem köstlichen Abendbrot aus Brot, Salzkäse und frischen Kräutern, besonders Koriander und Lauch, begrüßt, bevor wir weit nach Mitternacht in unser dickes, wohlig warmes Bettzeug sinken konnten.
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Es weckten uns der Sonne Strahlen und kein nerviges Weckergedüdel wie während der Arbeitszeit. Und wegen des knapp bemessenen Schlafes ob der späten Ankunftszeit nahmen wir es uns heraus bis kurz vor 10 zu schlafen – man gönnt sich ja sonst nichts. Uns erwartete wie jeden kommenden Tag ein wundervolles Frühstück, mal war es Fladenbrot mit Salzkäse, mal Nudeln, mal Kasza mit Tomaten und Ei oder armer Ritter. Danach brachen wir bei strahlendem Sonnenschein und 12°C per Marschrutka zum Tempel vom Garni auf. Er liegt etwa 30km östlich von Jerewan nahe der gleichnamigen Kleinstadt innerhalb eines Festungsgeländes, welches jahrhundertelang als Sommerresidenz für den armenischen König diente. Heute sind von der Anlage nur noch Ruinen erhalten, während sich der Mithras-Tempel, welcher vermutlich im 1. Jahrhundert von König Tiridates I. erbaut (einige wenige Historiker schreiben den Bau auch Tiridates III. zu) und 1679 von einem Erdbeben zerstört wurde, seit seiner Rekonstruktion 1976 wieder in voller Erhabenheit präsentiert. Der Besuch kostet 200 Dram, für Ausländer (und wir sahen nun einmal sichtlich ausländisch aus) 1000 Dram. Dafür schenkten wir uns die zusätzlichen 1000 Dram für „Amateurfoto- und Filmaufnahmen“ und knipsten einfach was das Zeug hielt.
Da Garni oberhalb einer Basaltschlucht liegt, ist der Tempel aus Basaltsteinen errichtet. Das Gebälk wird von 24 ionischen Säulen getragen, der Altar ist Mihr, dem Gott der Sonne geweiht. Anlass des Baus war vermutlich die Eingliederung Armeniens ins Römische Reich, Geldgeber der römische Kaiser Nero, den König Tiridates I. zu gegebener Angelegenheit in Rom besuchte.
Direkt neben dem Tempel stehen die Grundrisse der christlichen St.-Sion-Kirche aus dem 7. Jahrhundert, einem Tetrakonchos, der der Gregorkirche in Swartnoz nachgeahmt war. Am Nordende der Ruine befindet sich in einem kleinen Extrakapellchen der Grabstein vom Katholikos Mashtots Yeghivardetsi, der 876 nach der Verteidigung Etschmiadsins gegen die Araber den Heiligen Stuhl der armenisch-apostolischen Kirche sowie deren Kirchenschatz von dort nach Garni brachte. Als Katholikos bezeichnet man das Oberhaupt der armenischen Kirche. Er hat die Stellung eines Patriarchen.

Tempel von Garni


Fundamente der St.-Sion-Kirche


Auch heute gehören nicht nur etwa 94% der Bevölkerung der armenisch-apostolischen Kirche an, sondern ist Religiosität auch tief in den Menschen, ihrer Kultur und Geschichte verwurzelt, insbesondere da Armenien das erste Land der Welt war, das 301 n. Chr. das Christentum zur Staatsreligion erhob. Heute garantiert die armenische Verfassung selbstverständlich Religionsfreiheit, der Kirche werden aber bestimmte Sonderrechte eingeräumt und viele Gläubige nehmen die Worte des Katholikos sehr ernst. Religiöse Minderheiten sind die armenisch-katholische Kirche, die Molokanen als Abspaltung der russisch-orthodoxen Kirche und der von den Kurden und Aserbaidschanern praktizierte Islam.
Im Tempel von Garni trafen wir Mara, die sich aufgrund der knappen Touristenzahl zu dieser Jahreszeit unserer Reisegruppe anschloss. Weiter ging es zum Kloster Geghard, welches seit 2000 UNESCO-Weltkulturerbe ist. Es wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. an einer Quelle erbaut, die Gründung wird dem ersten Katholikos und Patron der armenisch-apostolischen Kirche, dem Heiligen Gregor, zugeschrieben. Charakteristisch für das Kloster sind die zum Teil in Felsen gehauenen Räume, die eine besonders gute Akustik geben. Da ließen wir es uns natürlich nicht nehmen das ein oder andere Lied anzustimmen. Überall auf dem Gelände findet man typische Zeichen der armenischen Kunst wie den Chatschkar, einen kunstvoll behauenen Reliefstein, der das für Armenien typische, längliche Kreuz zeigt. Von innen sind die Gotteshäuser dafür nur wenig geschmückt, da die Kirche arm ist.
Immer wieder stößt man auf Gebetsnischen, in denen man nur durch ein kleines Loch hindurch ein Heiligenbild erspähen kann und in denen Mönche oft tagelang im Gebet ausharren, wenn sie gesündigt haben oder um ein besonderes Anliegen bitten. Anders als in Deutschland leben die Mönche aber nicht in der Klosteranlage sondern in nahen Dörfern und kommen nur zur sonntäglichen Messe oder zum persönlichen Gespräch mit Gott zum Kloster.

Das Kloster Geghard


Ein Chatschkar



Hinter dem Gebäude an der erwähnten Gründungsquelle befindet sich eine kleine Höhle mit Steintürmchen, die zur Messung von Erdbeben dienen. An Büsche geknotete Tücher stehen für Träume und Wünsche von Menschen. Nahe der Kirche kann Gott, so sagt man, diese Sehnsüchte besonders gut sehen und wird sie dann hoffentlich auch erhören.
Die zweite Hälfte des Tages nutzten wir für eine Erkundungstour durch Jerewan. Als allererstes stand natürlich eine typisch armenische Stärkung auf der Programm und Suzi entführte uns in ihr Lieblingslokal zu Studienzeiten (ihr wisst ja, Studenten haben nie Geld). Wir ließen uns Lahmacun (ein dünnes Fladenbrot, das noch dünner mit einer Hackfleisch-Tomaten-Zwiebel-Mischung bestrichen ist) und Karkandak (armenische Piroggen) schmecken und zahlten gute 450 Dram, also einen knappen Euro dafür. (1 Euro entspricht etwa 550 Dram. Der Dram wird nicht weiter unterteilt.) Weitere Spezialitäten sind Lawasch (ein sehr dünnes Weizenbrot), Jajik (eine Suppe aus Joghurt und zumeist Gurke), Dolma (mit Hackfleisch und Reis gefüllte Weinblätter; werden mit Knoblauch-Joghurt-Dip gegessen), Kebab (auf dem Spieß gegrilltes Hackfleisch mit Zwiebeln, in Lawasch eingewickelt; diese Art Kebab hat sogar seinen Ursprung in Armenien und nicht wie oft angenommen in der Türkei), Gata (Blätterteiggebäck mit harter Zucker-Butter-Füllung), jegliche Art sauer eingelegten Gemüses und Kompott aus allen möglichen vorhandenen Obstsorte.
Unser Weg führte uns weiter zum Kaskade-Denkmal, einem riesigen Treppenmonument am Hang, welches die Innenstadt mit den Grünanlagen auf dem Berg verbindet. Die 2780 Stufen repräsentieren den 2780. Jahrestag der Stadt, eine Siedlung wurde nämlich erstmals 782 v. Chr. erwähnt. Entworfen wurde das architektonische Meisterwerk von Alexander Tamanyan, der den Großteil der Stadt geplant hat, denn obwohl Jerewan eine der ältesten Städte der Welt ist, sind die meisten Gebäude des heutigen Stadtbildes in den letzten 70 Jahren errichtet worden.
Auf dem Vorplatz und den einzelnen Etagen stehen viele Plastiken und wer zu faul ist sich sportlich zu betätigen, kann auch bei der Auffahrt per Rolltreppe diverse Kunstausstellungen im Inneren des Baus bewundern. Im Sommer runden viele Fontänen und Wasserspiele sowie eine reiche Bepflanzung der Treppenaufgänge das prächtige Gesamtbild ab.

Das Treppenmonument ...

... u.a. mit einem Pinguin davor

Am Ende des Parks steht das runde Operngebäude

Die Mutter Armeniens

Wir legten immer mal eine Pause zwischendurch ein, um den sich entwickelnden Ausblick auf die Stadt sowie die fortschreitende Dämmerung samt Sonnenuntergang in verschiedenen Etappen zu genießen, keinesfalls doch, weil wir erschöpft waren ;) Ist man einmal oben angekommen, ist es auch nicht mehr weit bis zur „Mutter Armeniens“, einem Monument, vom dem aus seit der Demontage der Stalin-Skulptur 1962 die Mutter Armeniens mit Schwert über die Stadt wacht. Die Statur symbolisiert „Frieden durch Stärke“ und ist bei vielen Einheimischen sehr unbeliebt, erinnert sie doch an die sowjetische Unterdrückung bis zur endgültigen Unabhängigkeit Armeniens 1991.

Für den Donnerstag war noch klareres Wetter angesagt und so begaben wir uns auf eine Reise hin zum Kloster Chor Virap, welches im Moment der mit 30km Entfernung am nächsten am Ararat-Gebirge gelegene Ort in Armenien ist. Schon während der Autofahrt erhob sich nach einiger Zeit der riesige Berg gespenstig aus dem Dunst. Die letzten beiden Kilometer mussten wir laufen. Wir passierten den Friedhof von Chor Virap, der auffällig links und rechts des Straßenrandes angelegt war, während man vom eigentlichen Dorf nichts ausmachen konnte. Die Grabsteine zeigen alle zumindest das Haupt des Verstorbenen, oft ist er aber von Kopf bis Fuß durchaus künstlerisch wertvoll in den Stein gemeißelt. Niedrige Zäune grenzen die Grabstätten der einzelnen Familien voneinander ab und auch hier findet man wieder viele Chatschkare.
Chor Virap liegt 40km südlich von Jerewan und ist besonders dafür bekannt, dass der Heilige Gregor (Gregor der Erleuchtete, Patron der armenischen Kirche) hier 13 Jahre lang für seine Missionsarbeit in Armenien gefangen gehalten wurde. Er war in einer zugemauerten Höhle eingesperrt und betete, nur deshalb überlebend, weil eine Frau ihn durch den Lüftungsschlitz hindurch mit einem sehr dünnen Brot (ihr erratet es – Lawasch) versorgte. Da die Einzelhaft und Folter Gregor nicht von seinem Glauben abbringen konnten, des Königs Kinder nacheinander starben und er diesen überdies von einer entstellenden und als unheilbar geltenden Hautkrankheit befreite, ließ sich Tiridates III. schließlich taufen und erhob das Christentum für Armenien als erstes Volk in der Geschichte zur Staatsreligion. Traditionell siedelt man dieses Ereignis um 301 n. Chr. an, historisch belegt fällt es aber eher in das Jahr 315 n. Chr.
Die heutige Klosteranlage stammt aus dem 17. Jahrhundert. Man kann in zwei unterirdische Zellen hinabsteigen. In einer von beiden soll der Heilige Gregor eingekerkert gewesen sein. Viele Armenier kommen hier her um zu beten oder Kerzen anzuzünden. Für jeden Wunsch oder jede Bitte wird eine Kerze in den mit Wasser bedeckten Sand gesteckt, die Kirche wird stets rückwärts und niemals mit dem Rücken zum Altar verlassen.

Das Araratgebirge ragt majestätisch hinter Chor Virap empor

Der Friedhof am Straßenrand beherbergt unzählige, kunstvolle Steine

Selbst Suzi entzündet hier eine Kerze

Abstieg in das Verlies des Heiligen Gregor

Nachdem wir ein bisschen zu lange die Aussicht genossen hatten sprinteten wir zurück zur Bushaltestelle. In 10min 2km weit zu rennen ist zwar nicht unmöglich, aber irgendwie schon, wenn man Gepäck hat und nicht aufgewärmt ist. Glücklicherweise … sah ein Mann, dass wir uns ganz spontan zu einem monströsen Sportprogramm entschieden hatten, deutete die Zeichen richtig, dass wir wohl eine Marschrutka erwischen wollten, und schon schwang er sich in sein Auto und fragte uns, ob er uns irgendwo hinbringen könne. Ja, so ist das in Armenien: Man muss nicht mal den Daumen raushalten um mitgenommen zu werden. Auch Suzi meinte, dass Hitchhiken für Frauen besonders einfach sei, weil die Kultur einfach noch so ausgerichtet ist, dass Frauen sehr zuvorkommend begegnet wird, schon weil es ja einen Bruder geben könnte, der sich für schlechtes Verhalten rächen würde. Überhaupt nimmt die Familie für Armenier einen hohen Stellenwert ein. Kinder begegnen ihren Eltern mit viel Respekt und ordnen sich ihnen auch oft im Erwachsenenalter noch unter. Das Oberhaupt der Familie ist der Vater, der auch Hauptverdiener ist. Viele Frauen arbeiten nicht oder hören spätestens dann damit auf, wenn sie das erste Kind bekommen. Kindererziehung ist auch reine Frauensache, oft helfen in modernen Familien aber die Großeltern mit, um beiden Eltern ein Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Generell wohnen die Kinder sehr lange bei ihren Eltern, oft zieht die Frau zum Mann, wenn das junge Ehepaar sich keine eigene Wohnung sucht. Besonders überraschend fand ich, dass Eltern ihre Kinder bis ins Alter von 6-7 Jahren füttern. Da saß dann ein junge Mutti in der Metro und stopfte ihrem Sprössling kleine Brothappen in den Mund und bei „Grand Candy“ (wo es übrigens unglaublich leckere Ponczki gibt) führte man einem schon etwas älteren Mädchen jeden Bissen zum Kauorgan, anstatt das Kind sein Essen selbst halten zu lassen.
Nachdem wir nach Jerewan zurückgekehrt waren, fuhren wir zum Bahnhof um uns über unseren Zug zu informieren und Tickets zu kaufen. Das hört sich gar nicht so schwierig an, stellte sich aber als zeitraubendes Begleitprogramm zu unserem Besuch heraus. Täglich besuchten wir den Bahnhof und jedes Mal klappte irgendetwas nicht. Einmal erfuhren wir, dass man nicht mit Karte zahlen konnte und wir so gezwungen waren für die Fahrkarten noch mal Geld umzutauschen bzw. abzuheben. Dann suchten wir ewig nach einer Bank, die einem nicht die Bankkarte auffraß, wenn man die PIN falsch eingab, weil eine von uns sich nicht mehr genau daran erinnerte. Als das zum Scheitern verurteilt war, weil entweder der Name aus dem Reisepass nicht in Englisch geschrieben oder der Automat zufällig kaputt war, besuchten wir eine Tankstelle, um einfach mal die PIN auszuprobieren. Nach der zweiten falschen Eingabe ließen wir es aber bleiben, um die Karte nicht gesperrt zu bekommen und so kratzten wir all unsere Reserven zusammen um doch schon einmal 3 Karten kaufen zu können. Letztendlich hat natürlich alles gut geklappt – wiederhole möchte ich so ein zeit- und nervenaufreibendes Unterfangen aber nicht.
Wir stiegen als nächstes zum Karen-Demirchyan-Komplex auf, einer Sport- und Konzerthalle, um das nahe Genozid-Denkmal zu besuchen. Es erinnert an den Völkermord an der Armenien in den Jahren 1915/16 im Zuge des Ersten Weltkrieges. Die jungtürkische Regierung des osmanischen Reiches hatte die Deportation der christlichen und „mit dem Fein verbündeten“ Armenier unter Billigung der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn mit dem Ziel, so viele Ausgesiedelte wie möglich dabei sterben zu lassen, von langer Hand geplant. Schon in den Jahren vor der Jahrhundertwende kam es zu zahlreichen Pogromen in Form von Enteignung, Verhaftung und Ermordung. Wehrhafte Dörfer und aufsässige Widerstände wurden blutig niedergemetzelt und ganze Landstriche zerstört und ausgerottet. In den Jahren vor Ausbruch des Krieges verlor das osmanische Reich weitere Gebiete an Russland, welches in den Kämpfen von armenischer Seite unterstützt worden war, was das Feindbild vom „sabotierenden Armenier“ in den Augen der Türken noch verstärkte. Den Aufstand von Van, bei welchem sich die armenische Bevölkerung erfolgreich über ihre Unterdrücker erhob, nahm die türkische Regierung schließlich als Anlass und Rechtfertigung, um am 24.04.1915 mit der großangelegten Verhaftungsaktion armenischer Intellektueller in Konstantinopel zu beginnen, der im Mai die Verabschiedung der Deportationsgesetze und die massenhafte Aussiedelung von Armeniern folgte. Auf den Todesmärschen fanden etwa 1,5 Mio. Menschen den Tod, oft von Hunger und Erschöpfung ausgezehrt, manchmal von die Trosse überfallenden Kurden ermordet. Nur selten half die Zivilbevölkerung auf dem Weg den Flüchtenden und versteckte sie. Auch nach Ende des Krieges starben viele an den Folgen der Deportation, die ehemaligen westlichen Schutzmächte und die USA standen der katastrophalen Situation der Armenier hingegen gleichgültig gegenüber und unternahmen kaum Schritte, um ihnen zu helfen.




Der Völkermord kostete nicht nur Hunderttausenden das Leben, sondern führte auch zu einem großen kulturellen und territorialen Verlust Armeniens. So wurden zahlreiche Gebäude und Kulturschätze zerstört und 12 Gebiete in das osmanische Reich integriert, in denen u.a. das Nationalsymbol der Armenier, das Ararat-Gebirge, liegt. Der 24.04 ist wegen des Beginns der Verhaftungen in Konstantinopel der offizielle Genozid-Gedenktag, an dem jedes Jahr zahlreiche Armenier zum Genozid-Denkmal Jerern pilgern, um Blumen abzulegen und dem Massaker zu Gedenken, das bis heute keineswegs von allen Nationen als Völkermord anerkannt wird. Besonders in der Geschichtsschreibung und offiziellen Politik des Türkei wird konsequent vom „Behaupteten Völkermord an den Armeniern“ oder vom „Armenischen Massaker“ gesprochen und der Tod tausender Armenier mit „kriegsbedingten Sicherheitsmaßnahmen“ gerechtfertigt. Die deutsche Regierung forderte die Türkei 2005 zwar auf, Verantwortung für die an den armenischen Christen verübten Gräueltaten im Osmanischen Reich zu übernehmen, vermied aber absichtlich die Verwendung des Begriffes Völkermord und vermied es zwei Mal auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke eine klare Stellung zu beziehen.

Am Freitagmorgen brachen wir ausnahmsweise mal etwas früher auf, weil wir einen Bus erwischen mussten, der nicht allzu häufig fuhr. Er brachte uns nach Swartnoz zur Ruine einer dem Heiligen Gregor geweihten Kirchen. Sie wurde gegen 643 n. Chr. vom Katholikos Nerses III. bauen lassen und war der älteste und größte Tetrakonchos im Kaukasus, bevor er zur Jahrtausendwende entweder von einem Erdbeben oder von arabischen Plünderern zerstört wurde. Der Tetrakonchos als Form eines kirchlichen Zentralbaus besitzt vier gleich lange, von der Vierung ausgehende Arme, die in halbrunde Apsiden, sogenannte Konchen, enden.
In Swartnoz waren die vier Konchen des Zentralbaus von einem kreisrunden Umgang mit einem Durchmesse von 37,5m umgeben. In drei Abstufungen erreichte der Baukörper eine Höhe von etwa 45m, womit die Kirche zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung eine der größten Bauten der Welt war. Drei der vier Konchen werden von jeweils 6 Säulen getragen, während die Apsis des Altarraums mit einer glatten, hohen Mauer abgeschlossen war. In der Mitte der Kathedrale befinden sich in einem Loch im Fundament die Reliquien des Heiligen Gregors des Erleuchteten. Seit 2000 gehört die gesamte Ausgrabungsstätte Swartnoz zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Bei Ausgrabungsarbeiten um 1905 fand man nicht nur die Ruinen der „Kathedrale der Engel“, was der Name „Swartnoz“ bedeutet und auf einen Traum Gregors des Erleuchteten zurückzuführen ist, dem Engel im Traum erschienen sein sollen, sondern auch die Überreste eines Palastes, der dem Katholikos Nerses III. als Residenz diente. Mit großer Säulenhalle, Arkaden, mehreren Bädern sowie Becken zur Weingärung und Lagerhallen zählt der Palast zum größten weltlichen Gebäude im Armenien des 7. Jahrhunderts. In der Nähe des Museums wurde außerdem ein steinerner Phallus entdeckt, Symbol für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, dessen Erscheinung Elemente des männlichen und weiblichen Geschlechts kombiniert. Er spielte vermutlich in heidnischen Kulten um eine Muttergottheit eine bedeutende Rolle. Die große Anzahl in Armenien gefundener Phalli lässt des Weiteren die Vermutung zu, dass der Phallus-Kult seinen Ursprung auf dem armenischen Plateau hatte und erst später in die Kulturen des antiken Griechenland, des Römischen Reiches und Osteuropas gelangt ist. Noch heute existiert die Anbetung des Phallus im Hinduismus und einigen afrikanischen Religionen.


Modell des Tetrakonchos

Der Phallus befindet sich rechts vor der niedrigen Mauer

Auf dem Rückweg von Swartnoz wurden wir wieder ganz ohne unser Zutun von von einem Armenier mitgenommen, der zur Belustigung aller fragte, ob ich aus Armenien komme, weil ich so aussehe wie ein Mädchen aus Goris. Ja, wenn ich jeden Tag ein ordentliches Sonnenbad nehmen würde, würde das vielleicht irgendwann hinhauen ;)
Unser spätes Mittagessen nahmen wir in einer Bäckerei nahe dem Hotel National ein, bevor wir zu einem Tanzkurs für Folkloretänze gingen. Überraschenderweise war es sehr, sehr voll. Ja, man konnte kaum einen Schritt tun ohne jemandem auf den Fuß zu treten. Dementsprechend unwohl und verloren fühlten wir uns, als mit mehr als einer halben Stunde Verspätung einfach nur Musik aufgelegt wurde und jeder froh zu tanzen begann und wir, ohne die richtigen Schritte auch nur zu erahnen, von der wogenden Masse schlichtweg mitgezogen wurden. Nach dem ersten Tanz begnügten wir uns also damit, dem Geschehen von der Bühne aus gespannt zuzusehen. Der erste Tanz war Papuri, ein Kreistanz, der zweite Kochari. Kochari ist der Tanz der Böcke und zählt zu den Nationaltänzen Armeniens mit langer Tradition. Es gibt 20-30 Variationen des Tanzes, der in erster Linie darauf abzielt, die Bewegungen zweier Böcke beim Kampf zu kopieren, weshalb man sich beim Tanz in zwei Reihen gegenüber steht. Zuletzt wurden wir Zeuge eines unglaublichen Spektakels, dem Yarkhushta-Tanz, den nur Männer tanzen. Herausstechendes Merkmal des Tanzen ist das kämpferische Abklatschen der Tänzer.

Für unseren letzten Tag in Jerewan hatte sich Suzi etwas Kulturelles einfallen lassen. Gut, dass an jedem letzten Samstag im Monat die meisten Museen frei waren, und so führte unser erster Weg zum Platz der Republik hinein ins Nationalmuseum Armeniens. Schon im ersten Ausstellungsraum wurden wir aber freundlich darauf hingewiesen, dass man nur als Armenier kostenlos ins Museum könne, Ausländer aber nichtsdestotrotz Eintritt zahlen müssen. Wir verließen das Gebäude. Da hatten wir uns so viele schöne Museen herausgepickt und jetzt konnten wir uns nicht einmal weiterbilden? Nein, das ließen wir nicht auf uns sitzen und behaupteten im nächsten Museum einfach wir wären EVS-Freiwillige aus Armenien, würden schon seit 10 Monaten hier leben und wären damit ja quasi schon Einheimische. Die vollkommen überforderte Frau von der Kasse ließ uns freundlicherweise passieren und so schauten wir uns einige Ausstellungsstücke über das historische Jerewan an. Noch vor 100 Jahren sah hier alles ganz anders aus, da die meisten Gebäude wie bereits erwähnt in den letzten 70 Jahren entstanden sind. Besonders interessant fand ich, dass man die Toten früher in großen Tonkrügen bestattete und dass man hier keinen Weihnachts-, dafür aber eine Art Osterbaum kannte, der mit selbstgebastelten Kugeln und bunten Bändern geschmückt war. Heute ist vielen Armeniern jedoch das Zimmern dieses Bäumchens zu aufwendig, sodass diese Tradition langsam verloren geht.

Suzi vor einem alten Bestattungskrug inklusiv Skelett

Fotografieren der Ausstellungsgegenstände war verboten,
von Personen aber nicht: der Osterbaum im Hintergrund


Vertieft in eine Partie Nardi ...

Auf dem Weg zum Büchermuseum ließen wir uns von einem Mann auf der Straße zu einer Partie Nardi, der armenischen Version von Backgammon, überreden. Das Büchermuseum war natürlich auch nicht frei, der Aufstieg auf die kleine Anhöhe hatte sich aber ob der Aussicht trotzdem gelohnt. Wir genossen die letzten Strahlen der Sonne, bevor Martha und ich einen großen Schritt wagten und uns (für günstige 1000 Dram, also etwa 2€) die Haare schneiden ließen. Wer hätte das gedacht …
Und schon hieß es Abschied nehmen. Suzi Mutter goss uns eine Tasse Wasser aus dem Fenster hinterher. Diese armenische Tradition soll Glück bringen und den Reisenden vor Gefahren schützen.

Unser Zug war typisch sowjetisch: Es gab drei verschiedene Klassen. Die erste Klasse hatte Zweierkabinen, die zweite Klasse Viererkabinen und die dritte Klasse, die wir gebucht hatten, war komplett offen. Unser netter Zugbegleiter, der natürlich kein Wort Englisch sprach, brachte uns zu einem Platz nah an der zweiten Klasse, um uns gegebenenfalls dorthin zu bringen, falls sie nicht ausgebucht war – war sie anscheinend. Vielleicht schliefen wir aber nur schon, als er uns holen kam. Die oberen Betten waren zum Herunterklappen, auf der anderen Seite des Fensters gab es zwei Sitzplätze und die Betten entstanden, wenn man den Tisch umdrehte und die Lücke zwischen den Sitzen schloss. Wir spielten zuerst eine Weile Stadt-Land-Fluss, nunja, eher nur Stadt, deutsche und polnische Städte waren erlaubt. Dann erzählten wir uns Gruselgeschichten, denn das Licht war ausgefallen und es war ziemlich düster in unserem Abteil. Aber natürlich gerade dann, als wir uns schlafen legen wollten, wurde die Flutlichtanlage eingeschaltet. Wir machten es uns trotzdem mehr oder weniger gemütlich, verzichteten auf die unbezogenen Decken und Kissen und fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich muss gestehen, dass ich wohl alle paar Minuten aufwachte: das erste Mal, als unser lieber Zugbegleiter mir ein Kissen unter den Kopf schob und mich zudeckte. Das nächste Mal an der garmenischen Grenzkontrolle. Wir kramten unsere Pässe heraus, der Jungspund vom Dienst steckte sie in sein mobiles Passlesegerät und stempelte uns ab … also, die Pässe natürlich. Er wünschte uns sogar auf Deutsch Auf Wiedersehen – viele scheinen hier mal ein paar Brocken Deutsch gelernt zu haben. Bis zur zweiten Grenzkontrolle verging noch mal eine Stunde. Ich war also gerade erst wieder eingeschlafen, als man uns wieder weckte, diesmal unsere Pässe einsammelte und uns allein ließ. Endlich bekamen wir mal nicht mit, wie viele Probleme Marthas Reisepapiere machten. Endlich wieder ein bisschen schlummern … ach nein, der Typ kam ja noch mal, um uns die Pässe zurückzubringen.
Endlich in Tiflis hopsten wir in eine sehr volle Marschrutka und starteten unsere Reise nach Kutaissi, von wo unser Rückflug gehen sollte. Zwischendurch sammelten wir noch sehr viele Leute ein, hielten mal ein einem Markt, ließen den Fahrer mal Waschpulver einkaufen und luden am dritten Ort Blumen ab, bevor wir in Kutaissi nahe dem McDonalds rausgeschmissen wurden. Glücklich, wer ein McDonalds um die Ecke hat – eine Möglichkeit, gratis auf Toilette zu gehen ;)
Auf dem nahen Markt kauften wir uns ein Mittagessen auf die Faust und suchten dann recht planlos nach der Touristenformation, um wenigstens eine kleine Ahnung zu haben, wohin wir gehen könnten. An einem runden Glashäuschen war dann auch schon bald „tourist information“ geschrieben, nur konnte wir diese komischerweise nicht erspähen. Also fragten wir. Die Frau sprach kein Englisch, kannte aber jemanden und lief weg. Sie kam mit einer Frau wieder, die … auch nicht wirklich Englisch sprach. Bald darauf kam aber ein Mann, der für uns jemanden anrief, der Englisch sprach. Ich nahm das Gespräch an … konnte aber natürlich nicht erklären, wo wir waren. Das überließ ich den Einheimischen. Irgendwie schafften wir es trotzdem nicht, uns zu verständigen. Also versuchten wir es noch mal: Zentrum? Centre? – Aha, Zentro! Da entlang, bitte! Also folgten wir den ausgestreckten Arm in der Hoffnung, auf etwas sehenswertes zu stoßen. Bald begegnete uns eine Kapelle und dann eine Palmenallee. Wir änderten unsere Richtung und flanierten zwischen eingepackten Palmen und rasenden Autos den Berg hinab, an einem Park vorbei, in dem es dann anfing zu regnen, die Treppe hoch zu einem (äußerst seltenen …) Reiterdenkmal und endlich, endlich in die Altstadt. Die Erschöpfung steckte uns in den Knochen, aber das schlechte Wetter gab uns den Rest. Eigentlich hatten wir uns mit den Mädels aus Tiflis treffen wollen, die auch gerade ein Wochenende in der zweitgrößten Stadt Georgiens verbrachten, aber wir fanden uns einfach nicht und dann beschlossen wir, wieder umzukehren. Wir erhaschten aber noch den Blick auf ein paar Sehenswürdigkeiten wie die Bagrati-Kathedrale und den Springbrunnen beim Zentralpark. 

Das Ende der Allee ...

Springbrunnen mit Bagrati-Kathedrale am Horizont


Und nach einer finalen Runde „Folge dem McDonald's-Schild“ ließen wir uns in eben dieser Kneipe nieder, um etwas zwischen die Zähne zu bekommen, bevor wir eine 2-Lari-Marschrutka zum Flughafen nahmen. Da wir etwa 3 Stunden zu früh da waren, vielleicht sogar 4, und das Einchecken noch nicht begonnen hatte, pflanzten wir uns auf den Boden und sahen uns die verpasste Folge der „heute show“ an. Danach zogen wir uns eins ums andere Mal den Werbefilm Georgiens rein, der unentwegt in HD zwischen den Flugzeugdaten abgespielt wurde, bevor wir einchecken konnten, uns ein Wässerchen im Duty-free-Shop gönnten und in unser etwas verspätetes Flugzeug stiegen. Ich schlief und zwar besser als auf dem Hinflug. In Warschau holte uns Vaska vom Flughafen ab und so ging eine wundervolle Reise voller Erlebnisse und Erfahrungen zu Ende – zu einem guten Ende. =)