Schon bei unserer Abreise
war uns das Schicksal nicht besonders hold. Als wir gerade aus der
Tür treten wollten riss der Riemen von Frederikes Rucksack (nun ja,
von meinem Rucksack, den sie sich geliehen hatten, um mit „kleinem
Handgepäck“ reisen zu können). Wir versuchten das Leck zwar
metallreich zu tackern, aber beim erneuten aufhucken ließ das Reißen
von Stoffgewebe uns an der Haltbarkeit der Konstruktion zweifeln und
so packte Freddi schnell ihre Sachen in einen anderen, größeren
Rucksack um und wir machten uns, nun schon in Eile, auf den Weg zur
Metro. Eigentlich hatten wir noch Geld abheben wollen, das schenkten
wir uns aber angesichts der Tatsache, dass wir später an unserer
Metro ankamen als der Bus zwei Stationen weiter abfahren sollte.
Da Busse in Warschau aber
wie in Deutschland natürlich nicht immer pünktlich sind, kamen wir
wie geplant rechtzeitig am Flughafen an. Da wir schon online
eingecheckt hatten, konnten wir uns gleich an der endlos langen
Schlange für die Sicherheitskontrolle anstellen. Aus Unsicherheit,
ob man nicht abgepackte Nahrungsmittel mit in den Flieger nehmen
dürfe, vertrieben wir uns die Wartezeit damit unsere Gemüsevorräte
aufzuessen. In der Duty-free-Zone versuchten wir dann nochmals unser
Glück mit dem Bankautomaten, der uns allerdings mit unseren
deutschen Bankkarten nicht gestattete Euro abzuheben, während das
mit polnischen Konten anscheinend kein Problem war. Mit viel zu wenig
Bargeld erreichten wir also genau zur rechten Zeit unser Gate und
waren die ersten beim Einchecken. Es sollte sich außerdem
herausstellen, dass all unsere Sorgen über „große“ und „kleine“
Gepäckstücke umsonst gewesen waren, denn niemand interessierte sich
auch nur die Bohne für das, was wir mit uns trugen.
Der Flug mit dem
ungarischen Zweig der Billigfluglinie WizzAir gestaltete sich als
besonders langweilig und anstrengend, zumal es nicht einmal
kostenlose Getränke gab. So blieb uns nichts anderes übrig als die
Hälfte unserer Erdnusspackung wegzuschnabulieren und von einem
halben Liter Wasser zu zehren.
Da waren wir also, in
Kutaissi, in Georgien, auf einem leer gefegten Flughafen mit einer
winzigen Ankunftshalle. Die Einreise verlief mehr oder minder
problemlos. Nur Martha hatte mit ihrem Pass zu kämpfen, den sie in
der Deutschen Botschaft in Warschau ausgestellt bekommen hatte und
der deshalb eine andere Farbe und Form aufwies. Man ließ uns
trotzdem uns Land und Frederike und ich bekamen sogar eine Flasche
guten georgischen Weines geschenkt … von der Regierung. So was
würde Deutschland im Traum nicht einfallen …
Dann quatschten uns schon
zehn Taxifahrer an, wo wir denn hin wollten. In die Hauptstadt
Tiflis. Wir entschieden uns aber für eine Fahrt im Minivan.
Glücklicherweise ergatterten wir die letzten drei Plätze, auch wenn
diese sehr über den Bus verstreut waren. So kam es, dass Frederike
recht angeregte Gespräche mit ihrem georgischen Sitznachbarn führen
konnte und auch Bekanntschaft mit einem georgischen Dänen machte,
der uns später ein Taxi nach Rustavi organisierte, wo wir
übernachten wollten. Ja, dieser Taxifahrer zeigte uns gleich zu
Beginn dass in Georgien eine etwas andere Fahrkultur herrscht als in
Deutschland oder Polen oder sonst irgendwo auf der Welt. Die Straße
war einfach nur breit, aber wenn man Fahrbahnlinien oder überhaupt
eine Mittellinie finden wollte, musste man schon sehr viel Fantasie
haben, denn nach so etwas sucht man selbst dort in der Hauptstart
vergebens. Wie ein Berserker hetzte der rauchende Schlot durch die
Nacht, bekreuzigte sich beim Anblick jeder Kirche 5x (anstatt der
anscheinend üblichen 3x) und ließ seine Hand über eine Auswahl an
Heiligenbildern gleiten, bevor sie das Kreuz erreichte, das vom
Rückspiegel baumelte.
Dennoch setzte er uns
sicher in der Kleinstadt südlich von Tiflis ab, in der des Nachts
Kühe und Pferde einfach so fröhlich auf der Straße herumspazieren.
Die beiden deutschen Mädels, die uns beherbergten, auch
EVS-Freiwillige, waren extra noch einmal aufgestanden, um uns herein
zu lassen, denn mit 3h Zeitverschiebung zu Polen kamen wir nach
georgischer Zeit etwa um 4 Uhr morgens, wenn nicht sogar später, an.
Am nächsten Morgen
erwartete uns nach einer wohltuenden Portion Schlaf ein gesundes und
stärkendes Frühstück, wir wurden noch mit ein paar Informationen
über Orientierung in der Stadt und sehenswerten Orten ausgestattet
und schon brachen wir, nachdem wir ein bisschen Geld getauscht und
unsere georgische Telefonkarte, die uns am Flughafen einfach so
zugesteckt worden war, aufgeladen hatten, mit einer Marschrutka in
die Innenstadt auf. Marschrutkas sind Kleinbus-Sammeltaxis. Sie
fahren los, wenn sie voll oder zumindest gut gefüllt sind, rechte
Abfahrtszeiten gibt es also nicht. Es gibt zwar einige Haltestellen,
prinzipiell kann man aber aussteigen, wo man will, man muss es dem
Fahrer nur verständlich machen. Bezahlt wird, zumindest in Tiflis,
beim Aussteigen, möglichst passend, denn die Fahrer haben meistens
keine Nerven zum Wechseln. Für den Innenstadtverkehr in Tiflis
zahlten wir 50 Tetri pro Fahrt, was etwa 20 Cent entspricht. Das aus
dem russischen übernommene Wort Marschrutka (Маршрутка)
lehnt sich übrigens an das deutsche Wort „Marschroute“ an
(welches wiederum aus dem Französischen kommt, aber man muss ja
nicht päpstlicher sein als der Papst).
Am
Hauptbahnhof, den wir zuerst ansteuerten um Tickets nach Jerewan
zu kaufen, stellten wir schnell fest, das die von uns herausgesuchte
Zugverbindung nur alle zwei Tage und natürlich nicht am von uns
vorgesehenen Tag verkehrte. So mussten wir gezwungenermaßen umplanen
und uns auf dem Busplatz nach einer Marschrutka in die armenische
Hauptstadt erkundigen. Da Georgier sehr offene Persönchen sind,
wurden wir auch schnell angequatscht und man wies uns den Weg zu
einem Kleinbus mit Endstation Jerewan.
Für 30 Lari hätten wir sofort einsteigen können.
(Für
einen Euro bekommt man im Moment übrigens etwa 2,5 Lari. Ein Lari
wird wiederum in 100 Tetri unterteilt.)
Wir fragten also, wann am nächsten Tag der letzte Bus fuhr und der
Fahrer gab uns nicht nur seine Karte, denn für lange Reisen
reserviert man besser ein Plätzchen vor, sondern wollte auch noch
Handynummern mit uns austauschen. Wir fanden das fast ein bisschen
aufdringlich, aber ich denke, dass das für Georgier eher
selbstverständlich ist, für jemanden zu sorgen. Ich meine,
natürlich wollte der Busfahrer Leute finden, die mit ihm fahren.
Aber er wollte uns eben auch informieren und sich um uns sorgen
können – eine nette Geste, die wir verstockten Westeuropäer zu
schnell falsch interpretieren.
Mit
der Metro machten wir uns wieder auf den Weg in die Innenstadt. An
jeder Station stiegen Kinder ein, die bettelten. Wir wurden besonders
bedrängt, weil wir sichtlich europäisch aussahen. Einem Mädchen
gaben wir schließlich mehr oder weniger freiwillig eine unserer
Wasserflaschen, bevor wir am liberty
square ausstiegen,
um uns dort mit Hanna, einer unserer Gastgeberinnen, zu treffen, die
überraschenderweise an diesem Tag doch nicht arbeiten musste. Am
Ausgang der Metro schlugen wir bei schönsten Sonnenschein erst
einmal die völlig falsche Richtung ein, weil wir dummtreu der
Ausschilderung folgten anstatt zuvor mal nach rechts und links zu
schauen. Gelohnt
hatte sich der kleine Umweg aber schon deswegen, weil er
uns
an
einem netten Pärkchen und der fröhlichen Werbung einer Bar „Don't
worry, don't cry, drink Vodka and fly“ vorbeiführte.
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In einer Marschrutka: Falls es voll ist,
kann man weitere Sitze herunterklappen. |
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Die georgische Flagge |
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Der Heilige Georg kämpft auf dem Freiheitsplatz mit dem Drachen. |
Am
Freiheitsplatz ragt auf einer hohen Säule ein goldener, mit dem
Drachen kämpfender Georg empor. Der
Heilige Georg ist der Schutzpatron Georgiens und man könnte meinen
auch der Namensgeber, in vielen Sprachen heißt Georgien aber nach
dem russischen Vorbild Грузия
(Grusija)
und die Georgier selbst nennen ihr Land Sakartwelo.
Auf
einen allgemeinen Zusammenhang ist also nicht schließbar.
Wir
liefen die
schöne, alte Leselidze-Straße
entlang, gönnten
uns ein Blätterteig-Chatschapuri,
ein
mit Salzkäse gefülltes und überbackenes Brot,
und kamen am Maidan heraus, um
mit der Kura (georgisch: Mtkwari) den längsten Fluss in Georgien zu
überqueren.
Vom
in den letzten Jahren angelegten Europaplatz aus brachte uns die
Seilbahn hoch zur Mutter Georgiens. Die Statur wurde 1958 aus Anlass
des 1500. Jubiläums der Stadt errichtet. In der linken Hand hält
sie eine Schale Wein für Freunde, in der rechten ein Schwert, um die
Stadt und das ganze Land gegen Feinde zu verteidigen. Unweit
des Monuments befinden sich die Ruinen
der Festung Nariqala,
deren Name auf Persisch „uneinnehmbare Burg“ bedeutet und im 3.
Jahrhundert zur militärischen Verteidigung von Tiflis errichtet
wurde. Insgesamt 4 Mal wurden die Mauern von verschiedenen Eroberern
zerstört und wieder aufgebaut. Zuletzt explodierte durch einen
Blitzeinschlag 1827 das Pulvermagazin, was große Teile der Festung
einstürzen ließ. Weil
Georgien zu dieser Zeit gerade unter russischer Besatzung stand,
wurden keine Renovierungsarbeiten vorgenommen, weshalb man heute nur
die Ruinen besichtigen kann. Von den erklimmbaren Zinnen hat man
allerdings einen großartigen Ausblick über die Stadt, was die Burg
und die darin stehende Nariqala-Kirche für Touristen und Heiratende
sehr beliebt macht.
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Leselidze-Straße |
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Blick auf die Altstadt und die Friedensbrücke |
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Die Mutter Georgiens |
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Links im Bild die Nariqala-Kirche |
Der
Abstieg, den wir zu Fuß wagten, führte uns zu den alten
Schwefelbädern. Es rankt sich die Sage, dass König Wachtang I. dort
auf der Jagd einen Fasan erlegte, der in die heißen Schwefelquellen
fiel und sofort gar gekocht wurde (oder die Version für die
Vegetarier: der Fasan fiel in die Quellen und wurde vom sprudelnden
Wasser geheilt). Aus diesem Anlass ließ Wachtang an diesem Ort 485
eine Siedlung errichten, die den Namen Tbilissi, vom georgischen Wort
tbili
(warm),
erhielt. Historisch wurde die Stadt allerdings schon im 4.
Jahrhundert auf römischen Karten unter dem Namen Pilado
erwähnt,
König Wachtang I. befreite sie im 5. Jahrhundert lediglich von den
persischen Besatzern und machte sie anschließend zu seiner
Hauptstadt.
Heute
sind noch etwa 8 der 65 Schwefelbäder in Benutzung. Sie zeichnen
sich durch halbkugelige Kuppeln aus und sind im Inneren reich mit
Marmor ausgekleidet. In kleinen, mietbaren Räumen kann man sich das
zwischen 37 °C und 47 °C warme Wasser sowie Massagen wohl
bekommen lassen. Die typisch georgische Massage beinhaltet das
Entfernen alter Haut mit einem Pferdehaarhandschuh, die Massage von
Armen, Rücken und Beinen sowie kräftige Warmwassergüsse zum
Schluss. Die Chlor-, Natrium- und Schwefelwasserstoffionen sind
besonders wirksam zum Kurieren von Osteoporose, Hautproblemen und
neurologischen sowie urologischen Störungen.
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Schwefelbad von außen ... |
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... und von innen |
Endlich
stiegen wir zur Metechi-Kirche und dem über Tiflis wachenden
Wachtang auf. Dort
trafen wir uns mit Sandro,
dem
Freund von Hanna, der von seiner Arbeit aus dem Botanischen Garten,
welcher zu Füßen der Niraqala-Festung liegt und mit über 128 ha
der größten Botanische Garten in der Sowjetunion war, zurückgekehrt
war.
In
der orthodoxen Kirche aus dem 13. Jahrhundert fand gerade ein
mehrstündiger Gottesdienst statt. Es gab einen Chor und
Schriftlesungen, die Menschen liefen frei im Kirchenraum umher,
zündeten Kerzen an und statteten den ihnen wichtigen Ikonen einen
Besuch ab. Einst stand das Gebäude inmitten der königlichen
Residenz, welche unter russischer Besatzung als Gefängnis, u.a. für
Josef Stalin, genutzt wurde, bevor diese abgerissen wurde. Die
Reiterstatur des Wachtang wurde 1967 vom gleichen Bildhauer
geschaffen, der auch die Mutter Georgiens entworfen hat.
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Wachtang I. neben der Metechi-Kirche |
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Im Inneren der Georgisch-Orthodoxen Apostelkirche |
Die
große Mehrheit der Georgier bekennt sich zur Georgisch-Orthodoxen
Apostelkirche. Schon 337 wurde das Christentum zur Staatsreligion
erklärt und bis heute hat sich daran trotz der gesetzlich
zugesicherten Religionsfreiheit nicht so viel geändert, werden der
georgischen Orthodoxie doch als einziger Religionsgemeinschaft
Zusatzrechte wie Steuerfreiheit und eine öffentlich-rechtliche
Organisationsform zugebilligt, wodurch sie eine unübersehbare
Sonderstellung inne hat. Etwa 10% der Bevölkerung sind Muslime,
knapp 4% gehören zu verschiedenen christlichen Konfessionen wie der
Armenisch-Apostolischen oder Armenisch-Katholischen Kirche. Bis heute
kommt es immer wieder zu Übergriffen auf religiöse Minderheiten,
weshalb Georgien bis 2004 auf der Liste der Länder stand, in denen
Religionsfreiheit am wenigsten gewährleistet wird.
Die
herausragende Stellung ihrer Kirche sowie die „Wiederauferstehung“
georgischer Religion und Tradition betonen die Tifliser mit der
relativ neuen Samebakathedrale. Sie wurde erst 204 fertiggestellt und
ist mit 84 m das höchste Kirchengebäude in Georgien. Die
goldenen Kuppel trägt ein 7,5 m hohes, vollständig vergoldetes
Kreuz und ist weithin sichtbar. Das Gelände der Kathedrale
beherbergt nicht nur den Sitz des georgischen Patriarchen, sondern
auch ein Kloster, eine theologische Universität und ein
Priesterseminar. Generell richten sich die Georgier sehr nach ihrem
Patriarchen, gerade jetzt in der Fastenzeit. Wenn der Katholikos eine
neue Fastenregel einführt oder spontan zu einem Tag des Verzichtes
aufruft, versuchen sich alle daran zu halten.
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Die höchste Kirche in Georgien, die Samebakathedrale |
Als
wir in der Dreifaltigkeitskathedrale
ankamen,
liefen gerade die Vorbereitungen für die Beerdigung von Soldaten
aus dem Südossetien-Krieg 2008, die exhumiert worden waren und nun
auf heimischem Boden ein zweites Mal bestattet wurden. Wir
störten also nicht länger und führten unseren Weg fort hin zur
peace
bridge.
Die
Brücke ist neu, nur für Fußgänge gedacht und präsentiert sich in
sehr modernem Design eines Schildkrötenpanzers. Wir genossen einen
Moment die im schnell anbrechenden Dunkel wunderschön beleuchtete
Niraqala-Festung und kehrten dann typisch georgisch zum Abendessen
ein.
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peace bridge |
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v.l.n.r.: Badrischani, Mschadi, Fladenbrot, Tomaten-Gurken-Salat |
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Chinkali |
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Frederike lässt sich die Süßigkeit Tschurtschchela schmecken |
Wenn
Georgier zusammen essen gehen, bestellen alle zusammen, weshalb es
auch keine Einzelgerichte auf georgischen Speisekarten gibt: Man
bestellt Salate, Fleisch und Beilagen extra und jeder darf von jedem
probieren. Überdies bestellt man stets viel zu viel – Sandro
erzählte uns, dass man etwa 1/3 der aufgetragenen Speisen isst und
den Rest übrig lässt. Das sahen wir dann auch bald bei unseren
Nachbarn, die aufstanden und gingen, obwohl noch ein sehr großer,
voller Teller Chinkali herumstand. Chinkali
sind Teigtaschen, die mit Gehacktes, Kartoffeln, Käse oder Pilzen
gefüllt sind, ähneln also stark den polnischen Piroggen und
unterscheiden sich nur in ihrer Form. Wir probierten außerdem
Badrischani,
eine Vorspeise aus gebratenen und mit einer Nuss-Knoblauch-Paste
gefüllten Auberginen. Es gab Mschadi
(Maisbrot)
und normales Fladenbrot, dazu ein spezieller Tomaten-Gurken-Salat und
eine Käseplatte mit den typischen Salzkäsesorten des Kaukasus
Suguni,
Imeruli
und Guda.
Als Dessert ist Tschurtschchela
beliebt, auf eine Schnur aufgefädelte Wal- oder Haselnüsse, die
mehrmals in eine Traubensaft-Konfitüre getaucht und dann zum
Trocknen aufgehängt wurden. Man kann es an jeder Straßenecke kaufen
und das nicht nur in Georgien, sondern auch in Armenien,
Aserbaidschan, der Türkei und Zypern.
Für
den nächsten Tag hatten wir uns die antike
Hauptstadt Mzcheta als Ausflugsziel ausgesucht. Am
Busbahnhof wollten wir uns eigentlich in eine Marschrutka setzen,
wurden dann aber von 5 Taxifahrern angequatscht, die uns alle
dasselbe anboten, was wir vorgehabt hatten: Erst zum Kloster Dschwari
hinauf und dann zur Besichtigung in die Stadt hinunter und
das alles nur für 30 Lari … was für ein Schnäppchen …
Das
Kloster Dschwari stammt aus dem 6. Jahrhundert und gehört seit 1994
zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wegen der fehlenden Renovierungsarbeiten
steht die
griechisch-orthodoxe Kirche
jedoch
auf der Roten Liste. Der Legende nach wurde auf dem Berg, auf dem das
Kloster steht, bereits im 4. Jahrhundert von der Heiligen Nino,
welche das Christentum nach Georgien gebracht haben soll, ein
hölzernes
Kreuz
errichtet. Im Jahr 545 entstand dann unter Fürst Guaram I. eine
erste Kapelle, von der heute nur noch Ruinen geblieben sind. Erst
Guarams Nachfolger Stefanos Patrikios sowie sein Bruder Demetre und
dessen Sohn Adarnase errichteten die heute noch erhaltene Kreuzkirche
mit 25 m Höhe sowie 20 m Länge und 16,5 m Breite.
Vom Plateau aus hat man eine gute Sicht auf die Stadt, die am
Zusammenfluss der beiden Flüsse Mtkwari und Aragwi liegt. Manchmal
kann man die unterschiedliche Farbe der beiden Wasserträger und
deren Zusammenflusslinie genau ausmachen.
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Kloster Dschwari |
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Ruinen der Kapelle Fürst Guarams I. aus dem 6. Jh. |
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Blick auf Mzcheta und den Zusammenfluss von Mtkwari und Aragwi |
Als
wir in Mzcheta ankamen, war die Stadt wie ausgestorben. Auf dem
großen Parkplatz standen mehr Souvenirs verkaufende Standbesitzer
als Autos. In der Zugangsstraße zur Stadt waren Bauarbeiten im
vollen Gange und überall versperrten Holz- und Putzreste den Weg.
Erst an der Touristenattraktion, der
Swetizchoweli-Kathedrale angekommen, begann das 3000 Jahre alte,
religiöse Zentrum Georgiens seine ganze Schönheit zu zeigen. Nach
einem Spaziergang durch den weitläufigen Innenhof der „Kathedrale
der lebensspendenden Säule“ besuchten wir die Kirche aus dem
Anfang des 11. Jahrhunderts. Bereits im 4. Jahrhundert soll die
Heilige Nino hier
die erste Kirche Georgiens errichtet haben. Als Begründung für ihre
Ortswahl zog sie wohl eine alte Erzählung heran, nach der ein
georgischer Jude nach Jerusalem reiste, um für Jesus zu sprechen,
aber zu spät kam und nur noch dessen Kreuzigung erlebte. Dafür
kaufte er den Soldaten das Gewand Jesu ab und brachte es mit nach
Hause. Dort soll es seine Schwester an sich gedrückt haben und
sofort gestorben sein. Das Gewand hielt sie jedoch so fest
umklammert, dass man es ihr nicht aus den Händen nehmen konnte und
so wurde sie damit begraben. Über der Grabstätte wuchs eine Zeder.
Die Heilige Nino nun ließ die Zeder abholzen, um die Kathedrale über
dem Grab bauen lassen zu können und schuf aus dem Zedernholz eine
Säule, welche sich aber nicht aufrichten ließ. Erst, nachdem sie
eine Nacht lang gebetet hatte, kam ein Engel und richtete die Säule
auf, sodass der Kirchenbau vollendet werden konnte. Später trat aus
der Holzsäule eine harzige Flüssigkeit aus, die die Gabe hatte,
Krankheiten zu heilen, weshalb die Kirche den Namen Swetizchoweli,
„lebensspendende Säule“ erhielt.
Im
5. Jahrhundert soll
auch König
Wachtang I. eine Basilika errichtet haben. Fundamente dieses
Baus
fand man tatsächlich bei Renovierungsarbeiten in den 70er Jahren.
Die 5 m hohen Mauern, die 1787 zu Wehrzwecken gebaut wurden,
bilden heute
einen großen Hof um die Kirche, der von den dort lebenden Mönchen
u.a. mit Beeten bewirtschaftet wird. Jahrhundertelang
diente die Kathedrale als Krönungs- und Begräbniskirche für die
georgischen Könige sowie als Hauptkirche
der Georgisch-Orthodoxen Religion.
Noch
heute hat der georgische Patriarch hier seinen Sitz.
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In Mzcheta mit dem Kloster Dschwari im Hintergrund |
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Im Innenhof der Kathedrale |
Die
vielen Fresken, mit denen der Kircheninnenraum einst ausgeschmückt
war, waren 1830 allesamt aus Anlass eines Besuches des russischen
Zaren übertüncht worden und wurden erst in den letzten Jahren
wieder freigelegt. Wie
das Kloster Dschwari gehört Swetizchoweli seit 1994 zum
UNESCO-Weltkulturerbe.
Wir
kehrten schließlich nach Tiflis zurück, gaben unserem wirklich
netten Taxifahrer noch ein Trinkgeld und warteten auf unsere
Marschrutka nach Armenien. Der Minivan war voll: Zwei alte Frauen,
eine junge, ein Pakistani aus London und wir drei plus Fahrer wagten
die fünfstündige Reise durch Nebel und Nacht. Wir passiertes die
Grenze zum Glück noch bei Tageslicht. Zuerst mussten wir aus
Georgien „auschecken“, was auch relativ problemlos lief. Dann
fuhren wir eine Weile durchs Niemandsland, um an der armenischen
Grenzkontrolle noch einmal unsere Pässe vorzulegen. Und schon ging
das Drama wieder los: Der Beamte wollte bei Gott nicht glauben, dass
das, was Martha ihm da gab, ein Pass sei. Ein Kinderpass vielleicht?
Ein … Spielzeugpass? Er ging fort, telefonierte, kam wieder, rief
noch jemandem zum Schauen her, verschwand noch einmal … nun,
letztendlich ließ man Martha natürlich auch passieren und
schwuppdiwupp hatten wir einen schönen, roten, armenischen Stempel
in unserem Pass.
Den
Rest der Fahrt vertrieben wir uns mit Schlafen und dem Essen unseres
leckeren, georgischen Brotes. Der Weg durch die Berge mäandrierte
sehr stark und unser Fahrer hatte seinen Führerschein ganz
offensichtlich in Georgien gemacht, er drückte nämlich immer schön
auf die Tube und achtete weder auf den Untergrund, noch auf die
Kurven oder den Gegenverkehr. Das letzte Problem war die Frage, wo
genau wir ankommen würden – am Hauptbusbahnhof. Mal davon
abgesehen, dass Jerewan viele Busbahnhöfe hat und keiner davon
„Haupt-“ ist, schafften wir es durch die Hilfe unserer
Mitreisenden per Taxi zu dem Ort zu gelangen, an dem Suzi auf uns
wartete, und schließlich in ihren Wohnblock marschieren und uns
ausruhen zu können. Gemäß armenischer Gastfreundschaft wurden wir
jedoch erst einmal von einem köstlichen Abendbrot aus Brot, Salzkäse
und frischen Kräutern, besonders Koriander und Lauch, begrüßt,
bevor wir weit nach Mitternacht in unser dickes, wohlig warmes
Bettzeug sinken konnten.
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Es
weckten uns der Sonne Strahlen und kein nerviges Weckergedüdel wie
während der Arbeitszeit. Und wegen des knapp bemessenen Schlafes ob
der späten Ankunftszeit nahmen wir es uns heraus bis kurz vor 10 zu
schlafen – man gönnt sich ja sonst nichts. Uns erwartete wie jeden
kommenden Tag ein wundervolles Frühstück, mal war es Fladenbrot mit
Salzkäse, mal Nudeln, mal Kasza mit Tomaten und Ei oder armer
Ritter. Danach
brachen wir bei strahlendem Sonnenschein und 12°C per Marschrutka
zum Tempel vom Garni auf. Er
liegt etwa 30km östlich von Jerewan
nahe der gleichnamigen Kleinstadt innerhalb eines Festungsgeländes,
welches jahrhundertelang als Sommerresidenz für den armenischen
König diente. Heute sind von der Anlage nur noch Ruinen erhalten,
während sich der Mithras-Tempel, welcher vermutlich im 1.
Jahrhundert von König Tiridates I. erbaut (einige wenige Historiker
schreiben den Bau auch Tiridates III. zu) und
1679 von einem Erdbeben zerstört wurde,
seit
seiner Rekonstruktion 1976 wieder in voller Erhabenheit präsentiert.
Der Besuch kostet 200 Dram, für Ausländer (und wir sahen nun einmal
sichtlich ausländisch aus) 1000 Dram. Dafür schenkten wir uns die
zusätzlichen 1000 Dram für „Amateurfoto- und Filmaufnahmen“ und
knipsten einfach was das Zeug hielt.
Da
Garni oberhalb einer Basaltschlucht liegt, ist der Tempel aus
Basaltsteinen errichtet. Das Gebälk wird von 24 ionischen Säulen
getragen, der Altar ist Mihr, dem Gott der Sonne geweiht. Anlass des
Baus war vermutlich die Eingliederung Armeniens ins Römische Reich,
Geldgeber der römische Kaiser Nero, den König Tiridates I. zu
gegebener Angelegenheit in Rom besuchte.
Direkt
neben dem Tempel stehen die Grundrisse der christlichen
St.-Sion-Kirche aus dem 7. Jahrhundert, einem Tetrakonchos, der der
Gregorkirche in Swartnoz nachgeahmt war. Am Nordende der Ruine
befindet sich in einem kleinen Extrakapellchen der Grabstein vom
Katholikos
Mashtots
Yeghivardetsi, der 876 nach der Verteidigung Etschmiadsins
gegen die Araber den Heiligen Stuhl der armenisch-apostolischen
Kirche sowie deren Kirchenschatz von
dort nach
Garni brachte. Als
Katholikos bezeichnet man das Oberhaupt der armenischen
Kirche. Er hat die Stellung eines Patriarchen.
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Tempel von Garni |
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Fundamente der St.-Sion-Kirche |
Auch
heute gehören nicht nur etwa 94% der Bevölkerung der
armenisch-apostolischen Kirche an, sondern ist Religiosität auch
tief in den Menschen, ihrer Kultur und Geschichte verwurzelt,
insbesondere da Armenien das erste Land der Welt war, das 301 n. Chr.
das Christentum zur Staatsreligion erhob. Heute garantiert die
armenische Verfassung selbstverständlich Religionsfreiheit, der
Kirche werden aber bestimmte Sonderrechte eingeräumt und viele
Gläubige nehmen die Worte des Katholikos
sehr ernst. Religiöse Minderheiten sind die armenisch-katholische
Kirche, die Molokanen als Abspaltung der russisch-orthodoxen Kirche
und der von den Kurden und Aserbaidschanern
praktizierte Islam.
Im
Tempel von Garni trafen wir Mara, die sich aufgrund der knappen
Touristenzahl zu dieser Jahreszeit unserer Reisegruppe anschloss.
Weiter ging es zum Kloster Geghard, welches seit 2000
UNESCO-Weltkulturerbe ist. Es wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. an
einer Quelle erbaut, die Gründung wird dem ersten
Katholikos
und Patron
der armenisch-apostolischen Kirche, dem Heiligen Gregor,
zugeschrieben. Charakteristisch
für das Kloster sind die zum Teil in Felsen gehauenen Räume, die
eine besonders gute Akustik geben. Da ließen wir es uns natürlich
nicht nehmen das ein oder andere Lied anzustimmen. Überall
auf dem
Gelände findet
man
typische Zeichen der
armenischen
Kunst wie den
Chatschkar,
einen
kunstvoll behauenen Reliefstein,
der das für Armenien typische, längliche Kreuz zeigt. Von innen
sind die Gotteshäuser dafür nur wenig geschmückt, da die Kirche
arm ist.
Immer
wieder stößt man auf Gebetsnischen, in denen man nur durch ein
kleines Loch hindurch ein Heiligenbild erspähen kann und in denen
Mönche oft tagelang im Gebet ausharren, wenn sie gesündigt haben
oder um ein besonderes Anliegen bitten. Anders als in Deutschland
leben die Mönche aber nicht in der Klosteranlage sondern in nahen
Dörfern und kommen nur zur sonntäglichen Messe oder zum
persönlichen Gespräch mit Gott zum Kloster.
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Das Kloster Geghard |
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Ein Chatschkar |
Hinter
dem Gebäude an der erwähnten Gründungsquelle befindet sich eine
kleine Höhle mit Steintürmchen, die zur Messung von Erdbeben
dienen. An Büsche geknotete Tücher stehen für Träume und Wünsche
von Menschen. Nahe der Kirche kann Gott, so sagt man, diese
Sehnsüchte besonders gut sehen und wird sie dann hoffentlich auch
erhören.
Die
zweite Hälfte des Tages nutzten wir für eine Erkundungstour durch
Jerewan. Als allererstes stand natürlich eine typisch armenische
Stärkung auf der Programm und Suzi entführte uns in ihr
Lieblingslokal zu Studienzeiten (ihr wisst ja, Studenten haben nie
Geld). Wir ließen uns Lahmacun
(ein dünnes Fladenbrot, das noch dünner mit einer
Hackfleisch-Tomaten-Zwiebel-Mischung bestrichen ist) und
Karkandak
(armenische
Piroggen)
schmecken und zahlten gute 450 Dram, also einen knappen Euro dafür.
(1 Euro entspricht etwa 550 Dram. Der Dram wird nicht weiter
unterteilt.) Weitere
Spezialitäten sind Lawasch
(ein sehr dünnes Weizenbrot), Jajik
(eine Suppe aus Joghurt und zumeist Gurke), Dolma
(mit Hackfleisch und Reis gefüllte Weinblätter; werden mit
Knoblauch-Joghurt-Dip gegessen), Kebab
(auf dem Spieß gegrilltes Hackfleisch mit Zwiebeln, in Lawasch
eingewickelt; diese Art Kebab hat sogar seinen Ursprung in Armenien
und nicht wie oft angenommen in der Türkei), Gata
(Blätterteiggebäck mit harter Zucker-Butter-Füllung), jegliche Art
sauer eingelegten Gemüses und Kompott aus allen
möglichen
vorhandenen Obstsorte.
Unser
Weg führte uns weiter zum Kaskade-Denkmal, einem riesigen
Treppenmonument am Hang, welches
die Innenstadt mit den Grünanlagen auf dem
Berg verbindet. Die 2780 Stufen repräsentieren den 2780. Jahrestag
der Stadt, eine
Siedlung wurde nämlich erstmals 782 v. Chr. erwähnt. Entworfen
wurde das architektonische Meisterwerk von Alexander Tamanyan, der
den Großteil der Stadt geplant hat, denn obwohl Jerewan eine der
ältesten Städte der Welt ist, sind die meisten Gebäude des
heutigen Stadtbildes in den letzten 70 Jahren errichtet worden.
Auf
dem
Vorplatz und den einzelnen Etagen stehen viele Plastiken und wer zu
faul ist sich sportlich zu betätigen, kann auch
bei
der Auffahrt per Rolltreppe diverse Kunstausstellungen im Inneren des
Baus bewundern. Im
Sommer runden viele Fontänen und Wasserspiele sowie eine reiche
Bepflanzung der Treppenaufgänge das prächtige Gesamtbild ab.
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Das Treppenmonument ... |
|
... u.a. mit einem Pinguin davor |
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Am Ende des Parks steht das runde Operngebäude |
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Die Mutter Armeniens |
Wir
legten immer mal eine Pause zwischendurch ein, um den sich
entwickelnden Ausblick auf die Stadt sowie die fortschreitende
Dämmerung samt Sonnenuntergang in verschiedenen Etappen zu genießen,
keinesfalls doch, weil wir erschöpft waren ;) Ist man einmal oben
angekommen, ist es auch nicht mehr weit bis zur „Mutter Armeniens“,
einem Monument, vom dem aus seit der Demontage der Stalin-Skulptur
1962 die Mutter Armeniens mit Schwert über die Stadt wacht. Die
Statur symbolisiert „Frieden durch Stärke“ und ist bei vielen
Einheimischen sehr unbeliebt, erinnert sie doch an die sowjetische
Unterdrückung bis zur endgültigen Unabhängigkeit Armeniens 1991.
Für
den Donnerstag war noch klareres Wetter angesagt und so begaben wir
uns auf eine Reise hin zum Kloster Chor
Virap, welches
im Moment der mit
30km Entfernung am
nächsten am Ararat-Gebirge
gelegene
Ort in Armenien ist. Schon während der Autofahrt erhob sich nach
einiger Zeit der riesige Berg gespenstig aus dem Dunst. Die letzten
beiden Kilometer mussten wir laufen. Wir passierten den Friedhof von
Chor Virap, der auffällig links und rechts des Straßenrandes
angelegt war, während man vom eigentlichen Dorf nichts ausmachen
konnte. Die Grabsteine zeigen alle zumindest das Haupt des
Verstorbenen, oft ist er aber von Kopf bis Fuß durchaus künstlerisch
wertvoll in den Stein gemeißelt. Niedrige Zäune grenzen die
Grabstätten der einzelnen Familien voneinander ab und
auch hier findet man wieder
viele Chatschkare.
Chor
Virap liegt 40km südlich von Jerewan und ist besonders dafür
bekannt, dass der Heilige Gregor (Gregor der Erleuchtete, Patron der
armenischen Kirche) hier 13 Jahre lang für seine Missionsarbeit in
Armenien gefangen gehalten wurde. Er war in einer zugemauerten Höhle
eingesperrt und betete, nur deshalb überlebend, weil eine Frau ihn
durch den Lüftungsschlitz hindurch mit einem sehr dünnen Brot (ihr
erratet es – Lawasch) versorgte. Da die Einzelhaft und Folter
Gregor nicht von seinem Glauben abbringen konnten, des Königs Kinder
nacheinander starben und er diesen überdies von einer entstellenden
und als unheilbar geltenden Hautkrankheit befreite, ließ sich
Tiridates III. schließlich taufen und erhob
das Christentum für
Armenien als erstes Volk in der Geschichte zur
Staatsreligion. Traditionell siedelt man dieses Ereignis um 301
n. Chr. an, historisch belegt fällt es aber eher in das Jahr
315 n. Chr.
Die
heutige Klosteranlage stammt aus dem 17. Jahrhundert. Man kann in
zwei unterirdische Zellen hinabsteigen. In einer von beiden soll der
Heilige Gregor eingekerkert gewesen sein. Viele Armenier kommen hier
her um zu beten oder Kerzen anzuzünden. Für jeden Wunsch oder jede
Bitte wird eine Kerze in den mit Wasser bedeckten Sand gesteckt, die
Kirche wird stets rückwärts und niemals mit dem Rücken zum Altar
verlassen.
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Das Araratgebirge ragt majestätisch hinter Chor Virap empor |
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Der Friedhof am Straßenrand beherbergt unzählige, kunstvolle Steine |
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Selbst Suzi entzündet hier eine Kerze |
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Abstieg in das Verlies des Heiligen Gregor |
Nachdem
wir ein bisschen zu lange die Aussicht genossen hatten sprinteten wir
zurück zur Bushaltestelle. In 10min 2km weit zu rennen ist zwar
nicht unmöglich, aber irgendwie schon, wenn man Gepäck hat und
nicht aufgewärmt ist. Glücklicherweise … sah ein Mann, dass wir
uns ganz spontan zu einem monströsen Sportprogramm entschieden
hatten, deutete die Zeichen richtig, dass wir wohl eine Marschrutka
erwischen wollten, und schon schwang er sich in sein Auto und fragte
uns, ob er uns irgendwo hinbringen könne. Ja, so ist das in
Armenien: Man muss nicht mal den Daumen raushalten um mitgenommen zu
werden. Auch Suzi meinte, dass Hitchhiken für Frauen besonders
einfach sei, weil die Kultur einfach noch so ausgerichtet ist, dass
Frauen sehr zuvorkommend begegnet wird, schon weil es ja einen Bruder
geben könnte, der sich für schlechtes Verhalten rächen würde.
Überhaupt
nimmt die Familie für Armenier einen hohen Stellenwert ein. Kinder
begegnen ihren Eltern mit viel Respekt und ordnen sich ihnen auch oft
im Erwachsenenalter noch unter. Das Oberhaupt der Familie ist der
Vater, der auch Hauptverdiener ist. Viele Frauen arbeiten nicht oder
hören spätestens dann damit auf, wenn sie das erste Kind bekommen.
Kindererziehung ist auch reine Frauensache, oft helfen in modernen
Familien aber die Großeltern mit, um beiden Eltern ein
Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Generell wohnen die Kinder sehr
lange bei ihren Eltern, oft zieht die Frau zum Mann, wenn das junge
Ehepaar sich keine eigene Wohnung sucht. Besonders überraschend fand
ich, dass Eltern ihre Kinder bis ins Alter von 6-7 Jahren füttern.
Da saß dann ein junge Mutti in der Metro und stopfte ihrem
Sprössling kleine Brothappen in den Mund und bei „Grand
Candy“
(wo es übrigens unglaublich leckere Ponczki gibt) führte man einem
schon etwas älteren Mädchen jeden Bissen zum Kauorgan, anstatt das
Kind sein Essen selbst halten zu lassen.
Nachdem
wir nach Jerewan zurückgekehrt waren, fuhren wir zum Bahnhof um uns
über unseren Zug zu informieren und
Tickets zu kaufen.
Das hört sich gar nicht so schwierig an, stellte sich aber als
zeitraubendes Begleitprogramm zu unserem Besuch heraus. Täglich
besuchten wir den Bahnhof und jedes Mal klappte
irgendetwas nicht. Einmal erfuhren wir,
dass man nicht mit Karte zahlen konnte und wir so gezwungen waren für
die Fahrkarten noch mal Geld umzutauschen bzw. abzuheben. Dann
suchten wir ewig nach einer Bank, die einem nicht die Bankkarte
auffraß, wenn man die PIN falsch eingab, weil eine von uns sich
nicht mehr genau daran erinnerte. Als das zum Scheitern verurteilt
war, weil entweder der Name aus dem Reisepass nicht in Englisch
geschrieben oder der Automat zufällig kaputt war, besuchten wir eine
Tankstelle, um einfach mal die PIN auszuprobieren. Nach der zweiten
falschen Eingabe ließen wir es aber bleiben, um die Karte nicht
gesperrt zu bekommen und so kratzten wir all unsere Reserven zusammen
um doch schon einmal 3 Karten kaufen zu können. Letztendlich hat
natürlich alles gut geklappt – wiederhole möchte ich so ein zeit-
und nervenaufreibendes Unterfangen aber nicht.
Wir
stiegen als nächstes zum Karen-Demirchyan-Komplex auf, einer Sport-
und Konzerthalle, um das nahe Genozid-Denkmal zu besuchen. Es
erinnert an den Völkermord an der Armenien in den Jahren 1915/16 im
Zuge des Ersten Weltkrieges. Die jungtürkische Regierung des
osmanischen Reiches hatte die Deportation der christlichen und „mit
dem Fein verbündeten“ Armenier unter Billigung der Mittelmächte
Deutschland und Österreich-Ungarn mit dem Ziel, so viele
Ausgesiedelte wie möglich dabei sterben zu lassen, von langer Hand
geplant. Schon in den Jahren vor der Jahrhundertwende kam es zu
zahlreichen Pogromen in Form von Enteignung, Verhaftung und
Ermordung. Wehrhafte Dörfer und aufsässige Widerstände wurden
blutig niedergemetzelt und ganze Landstriche zerstört und
ausgerottet. In den Jahren vor Ausbruch des Krieges verlor das
osmanische Reich weitere Gebiete an Russland, welches in den Kämpfen
von armenischer Seite unterstützt worden war, was das Feindbild vom
„sabotierenden Armenier“ in den Augen der Türken noch
verstärkte. Den Aufstand von Van, bei welchem sich die armenische
Bevölkerung erfolgreich über ihre Unterdrücker erhob, nahm die
türkische Regierung schließlich als Anlass und Rechtfertigung, um
am 24.04.1915 mit der großangelegten Verhaftungsaktion armenischer
Intellektueller in Konstantinopel zu beginnen, der im Mai die
Verabschiedung der Deportationsgesetze und die massenhafte
Aussiedelung von Armeniern folgte. Auf den Todesmärschen fanden etwa
1,5 Mio. Menschen den Tod, oft von Hunger und Erschöpfung
ausgezehrt, manchmal von die Trosse überfallenden Kurden ermordet.
Nur selten half die Zivilbevölkerung auf dem Weg den Flüchtenden
und versteckte sie. Auch nach Ende des Krieges starben viele an den
Folgen der Deportation, die ehemaligen westlichen Schutzmächte und
die USA standen der katastrophalen Situation der Armenier hingegen
gleichgültig gegenüber und unternahmen kaum Schritte, um ihnen zu
helfen.
Der
Völkermord kostete nicht nur Hunderttausenden das Leben, sondern
führte auch zu einem großen kulturellen und territorialen Verlust
Armeniens. So wurden zahlreiche Gebäude und Kulturschätze zerstört
und 12 Gebiete in das osmanische Reich integriert, in denen u.a. das
Nationalsymbol der Armenier, das Ararat-Gebirge, liegt. Der 24.04 ist
wegen des Beginns der Verhaftungen in Konstantinopel der offizielle
Genozid-Gedenktag, an dem jedes Jahr zahlreiche Armenier zum
Genozid-Denkmal Jerern pilgern, um Blumen abzulegen und dem Massaker
zu Gedenken, das bis heute keineswegs von allen Nationen als
Völkermord anerkannt wird. Besonders in der Geschichtsschreibung und
offiziellen Politik des Türkei wird konsequent vom „Behaupteten
Völkermord an den Armeniern“ oder vom „Armenischen Massaker“
gesprochen und der Tod tausender Armenier mit „kriegsbedingten
Sicherheitsmaßnahmen“ gerechtfertigt. Die deutsche Regierung
forderte die Türkei 2005 zwar auf, Verantwortung für die an den
armenischen Christen verübten Gräueltaten im Osmanischen Reich zu
übernehmen, vermied aber absichtlich die Verwendung des Begriffes
Völkermord und vermied es zwei Mal auf eine kleine Anfrage der
Partei Die Linke eine klare Stellung zu beziehen.
Am
Freitagmorgen brachen wir ausnahmsweise mal etwas früher auf, weil
wir einen Bus erwischen mussten, der nicht allzu häufig fuhr. Er
brachte uns nach Swartnoz zur Ruine einer dem Heiligen Gregor
geweihten Kirchen. Sie wurde gegen 643 n. Chr. vom Katholikos
Nerses III. bauen lassen und war der älteste und größte
Tetrakonchos im Kaukasus, bevor er zur Jahrtausendwende entweder von
einem Erdbeben oder von arabischen Plünderern zerstört wurde. Der
Tetrakonchos als Form eines kirchlichen Zentralbaus besitzt vier
gleich lange, von der Vierung ausgehende Arme, die in halbrunde
Apsiden, sogenannte Konchen, enden.
In
Swartnoz waren die vier Konchen des Zentralbaus von einem kreisrunden
Umgang mit einem Durchmesse von 37,5m umgeben. In drei Abstufungen
erreichte der Baukörper eine Höhe von etwa 45m, womit die Kirche
zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung eine der größten Bauten der
Welt war. Drei der vier Konchen werden von jeweils 6 Säulen
getragen, während die Apsis des Altarraums mit einer glatten, hohen
Mauer abgeschlossen war. In der Mitte der Kathedrale befinden sich in
einem Loch im Fundament die Reliquien des Heiligen Gregors des
Erleuchteten. Seit 2000 gehört die gesamte Ausgrabungsstätte
Swartnoz zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Bei
Ausgrabungsarbeiten um 1905 fand man nicht nur die Ruinen der
„Kathedrale der Engel“, was der Name „Swartnoz“ bedeutet und
auf einen Traum Gregors des Erleuchteten zurückzuführen ist, dem
Engel im Traum erschienen sein sollen, sondern auch die Überreste
eines Palastes, der dem Katholikos Nerses III. als Residenz diente.
Mit großer Säulenhalle, Arkaden, mehreren Bädern sowie Becken zur
Weingärung und Lagerhallen zählt der Palast zum größten
weltlichen Gebäude im Armenien des 7. Jahrhunderts. In der Nähe des
Museums wurde außerdem ein steinerner Phallus entdeckt, Symbol für
Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, dessen Erscheinung Elemente des
männlichen und weiblichen Geschlechts kombiniert. Er spielte
vermutlich in heidnischen Kulten um eine Muttergottheit eine
bedeutende Rolle. Die große Anzahl in Armenien gefundener Phalli
lässt des Weiteren die Vermutung zu, dass der Phallus-Kult seinen
Ursprung auf dem armenischen Plateau hatte und erst später in die
Kulturen des antiken Griechenland, des Römischen Reiches und
Osteuropas gelangt ist. Noch heute existiert die Anbetung des Phallus
im Hinduismus und einigen afrikanischen Religionen.
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Modell des Tetrakonchos |
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Der Phallus befindet sich rechts vor der niedrigen Mauer |
Auf
dem Rückweg von Swartnoz wurden wir wieder ganz ohne unser Zutun von
von einem Armenier mitgenommen, der zur Belustigung aller fragte, ob
ich aus Armenien komme, weil ich so aussehe wie ein Mädchen aus
Goris. Ja, wenn ich jeden Tag ein ordentliches Sonnenbad nehmen
würde, würde das vielleicht irgendwann hinhauen ;)
Unser
spätes Mittagessen nahmen wir in einer Bäckerei nahe dem Hotel
National ein, bevor wir zu einem Tanzkurs für Folkloretänze gingen.
Überraschenderweise war es sehr, sehr voll. Ja, man konnte kaum
einen Schritt tun ohne jemandem auf den Fuß zu treten.
Dementsprechend unwohl und verloren fühlten wir uns, als mit mehr
als einer halben Stunde Verspätung einfach nur Musik aufgelegt wurde
und jeder froh zu tanzen begann und wir, ohne die richtigen Schritte
auch nur zu erahnen, von der wogenden Masse schlichtweg mitgezogen
wurden. Nach dem ersten Tanz begnügten wir uns also damit, dem
Geschehen von der Bühne aus gespannt zuzusehen. Der erste Tanz war
Papuri, ein
Kreistanz, der zweite Kochari. Kochari
ist der Tanz der Böcke und zählt zu den Nationaltänzen Armeniens
mit langer Tradition. Es gibt 20-30 Variationen des Tanzes, der in
erster Linie darauf abzielt, die Bewegungen zweier Böcke beim Kampf
zu kopieren, weshalb man sich beim Tanz in zwei Reihen gegenüber
steht. Zuletzt wurden wir Zeuge eines unglaublichen Spektakels, dem
Yarkhushta-Tanz,
den nur Männer tanzen. Herausstechendes Merkmal des Tanzen ist das
kämpferische Abklatschen der Tänzer.
Für
unseren letzten Tag in Jerewan hatte sich Suzi etwas Kulturelles
einfallen lassen. Gut, dass an jedem letzten Samstag im Monat die
meisten Museen frei waren, und so führte unser erster Weg zum Platz
der Republik hinein ins Nationalmuseum Armeniens. Schon im ersten
Ausstellungsraum wurden wir aber freundlich darauf hingewiesen, dass
man nur als Armenier kostenlos ins Museum könne, Ausländer aber
nichtsdestotrotz Eintritt zahlen müssen. Wir verließen das Gebäude.
Da hatten wir uns so viele schöne Museen herausgepickt und jetzt
konnten wir uns nicht einmal weiterbilden? Nein, das ließen wir
nicht auf uns sitzen und behaupteten im nächsten Museum einfach wir
wären EVS-Freiwillige aus Armenien, würden schon seit 10 Monaten
hier leben und wären damit ja quasi schon Einheimische. Die
vollkommen überforderte Frau von der Kasse ließ uns
freundlicherweise passieren und so schauten wir uns einige
Ausstellungsstücke über das historische Jerewan an. Noch vor 100
Jahren sah hier alles ganz anders aus, da die meisten Gebäude wie
bereits erwähnt in den letzten 70 Jahren entstanden sind. Besonders
interessant fand ich, dass man die Toten früher in großen Tonkrügen
bestattete und dass man hier keinen Weihnachts-, dafür aber eine Art
Osterbaum kannte, der mit selbstgebastelten Kugeln und bunten Bändern
geschmückt war. Heute ist vielen Armeniern jedoch das Zimmern dieses
Bäumchens zu aufwendig, sodass diese Tradition langsam verloren
geht.
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Suzi vor einem alten Bestattungskrug inklusiv Skelett |
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Fotografieren der Ausstellungsgegenstände war verboten, von Personen aber nicht: der Osterbaum im Hintergrund |
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Vertieft in eine Partie Nardi ... |
Auf
dem Weg zum Büchermuseum ließen wir uns von einem Mann auf der
Straße zu einer Partie Nardi, der armenischen Version von
Backgammon, überreden. Das Büchermuseum war natürlich auch nicht
frei, der Aufstieg auf die kleine Anhöhe hatte sich aber ob der
Aussicht trotzdem gelohnt. Wir genossen die letzten Strahlen der
Sonne, bevor Martha und ich einen großen Schritt wagten und uns (für
günstige 1000 Dram, also etwa 2€) die Haare schneiden ließen. Wer
hätte das gedacht …
Und
schon hieß es Abschied nehmen. Suzi Mutter goss uns eine Tasse
Wasser aus dem Fenster hinterher. Diese armenische Tradition soll
Glück bringen und den Reisenden vor Gefahren schützen.
Unser
Zug war typisch sowjetisch: Es gab drei verschiedene Klassen. Die
erste Klasse hatte Zweierkabinen, die zweite Klasse Viererkabinen und
die dritte Klasse, die wir gebucht hatten, war komplett offen. Unser
netter Zugbegleiter, der natürlich kein Wort Englisch sprach,
brachte uns zu einem Platz nah an der zweiten Klasse, um uns
gegebenenfalls dorthin zu bringen, falls sie nicht ausgebucht war –
war sie anscheinend. Vielleicht schliefen wir aber nur schon, als er
uns holen kam. Die oberen Betten waren zum Herunterklappen, auf der
anderen Seite des Fensters gab es zwei Sitzplätze und die Betten
entstanden, wenn man den Tisch umdrehte und die Lücke zwischen den
Sitzen schloss. Wir spielten zuerst eine Weile Stadt-Land-Fluss,
nunja, eher nur Stadt, deutsche und polnische Städte waren erlaubt.
Dann erzählten wir uns Gruselgeschichten, denn das Licht war
ausgefallen und es war ziemlich düster in unserem Abteil. Aber
natürlich gerade dann, als wir uns schlafen legen wollten, wurde die
Flutlichtanlage eingeschaltet. Wir machten es uns trotzdem mehr oder
weniger gemütlich, verzichteten auf die unbezogenen Decken und
Kissen und fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich muss gestehen, dass
ich wohl alle paar Minuten aufwachte: das erste Mal, als unser lieber
Zugbegleiter mir ein Kissen unter den Kopf schob und mich zudeckte.
Das nächste Mal an der garmenischen Grenzkontrolle. Wir kramten
unsere Pässe heraus, der Jungspund vom Dienst steckte sie in sein
mobiles Passlesegerät und stempelte uns ab … also, die Pässe
natürlich. Er wünschte uns sogar auf Deutsch Auf Wiedersehen –
viele scheinen hier mal ein paar Brocken Deutsch gelernt zu haben.
Bis zur zweiten Grenzkontrolle verging noch mal eine Stunde. Ich war
also gerade erst wieder eingeschlafen, als man uns wieder weckte,
diesmal unsere Pässe einsammelte und uns allein ließ. Endlich
bekamen wir mal nicht mit, wie viele Probleme Marthas Reisepapiere
machten. Endlich wieder ein bisschen schlummern … ach nein, der Typ
kam ja noch mal, um uns die Pässe zurückzubringen.
Endlich
in Tiflis hopsten wir in eine sehr volle Marschrutka und starteten
unsere Reise nach Kutaissi, von wo unser Rückflug gehen sollte.
Zwischendurch sammelten wir noch sehr viele Leute ein, hielten mal
ein einem Markt, ließen den Fahrer mal Waschpulver einkaufen und
luden am dritten Ort Blumen ab, bevor wir in Kutaissi nahe dem
McDonalds rausgeschmissen wurden. Glücklich, wer ein McDonalds um
die Ecke hat – eine Möglichkeit, gratis auf Toilette zu gehen ;)
Auf
dem nahen Markt kauften wir uns ein Mittagessen auf die Faust und
suchten dann recht planlos nach der Touristenformation, um wenigstens
eine kleine Ahnung zu haben, wohin wir gehen könnten. An einem
runden Glashäuschen war dann auch schon bald „tourist information“
geschrieben, nur konnte wir diese komischerweise nicht erspähen.
Also fragten wir. Die Frau sprach kein Englisch, kannte aber jemanden
und lief weg. Sie kam mit einer Frau wieder, die … auch nicht
wirklich Englisch sprach. Bald darauf kam aber ein Mann, der für uns
jemanden anrief, der Englisch sprach. Ich nahm das Gespräch an …
konnte aber natürlich nicht erklären, wo wir waren. Das überließ
ich den Einheimischen. Irgendwie schafften wir es trotzdem nicht, uns
zu verständigen. Also versuchten wir es noch mal: Zentrum? Centre?
– Aha, Zentro! Da entlang, bitte! Also folgten wir den
ausgestreckten Arm in der Hoffnung, auf etwas sehenswertes zu stoßen.
Bald begegnete uns eine Kapelle und dann eine Palmenallee. Wir
änderten unsere Richtung und flanierten zwischen eingepackten Palmen
und rasenden Autos den Berg hinab, an einem Park vorbei, in dem es
dann anfing zu regnen, die Treppe hoch zu einem (äußerst seltenen
…) Reiterdenkmal und endlich, endlich in die Altstadt. Die
Erschöpfung steckte uns in den Knochen, aber das schlechte Wetter
gab uns den Rest. Eigentlich hatten wir uns mit den Mädels aus
Tiflis treffen wollen, die auch gerade ein Wochenende in der
zweitgrößten Stadt Georgiens verbrachten, aber wir fanden uns
einfach nicht und dann beschlossen wir, wieder umzukehren. Wir
erhaschten aber noch den Blick auf ein paar Sehenswürdigkeiten wie
die Bagrati-Kathedrale und den Springbrunnen beim Zentralpark.
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Das Ende der Allee ... |
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Springbrunnen mit Bagrati-Kathedrale am Horizont |
Und
nach einer finalen Runde „Folge dem McDonald's-Schild“ ließen
wir uns in eben dieser Kneipe nieder, um etwas zwischen die Zähne zu
bekommen, bevor wir eine 2-Lari-Marschrutka zum Flughafen nahmen. Da
wir etwa 3 Stunden zu früh da waren, vielleicht sogar 4, und das
Einchecken noch nicht begonnen hatte, pflanzten wir uns auf den Boden
und sahen uns die verpasste Folge der „heute show“ an. Danach
zogen wir uns eins ums andere Mal den Werbefilm
Georgiens rein, der unentwegt in HD zwischen den Flugzeugdaten
abgespielt wurde, bevor wir einchecken konnten, uns ein Wässerchen
im Duty-free-Shop gönnten und in unser etwas verspätetes Flugzeug
stiegen. Ich schlief und zwar besser als auf dem Hinflug. In Warschau
holte uns Vaska vom Flughafen ab und so ging eine wundervolle Reise
voller Erlebnisse und Erfahrungen zu Ende – zu einem guten Ende. =)