Samstag, 31. Januar 2015

Samstag, 24.01.2015: Von krew und omdlenie

Auf jenen Samstag hatte ich mich quasi schon meinen ganzen Polenaufenthalt lang gefreut: Endlich Blutspenden gehen! Ich hatte ein Blutspendezentrum herausgesucht und meine Mentorin Kasia und ich hatten einen Termin gefunden, an dem wir beide Zeit hatten, um gemeinsam dorthin zu gehen, denn zum Ausfüllen ellenlanger, medizinischer Fragebögen reichen meine Polnischkenntnisse doch noch nicht aus. Ich hatte normal gefrühstückt (das nur schon mal vorneweg) und fühlte mich auch ganz prima. Um 10 rückten wir dann ein und machten uns gleich mit dem sehr langen Fragebogen vertraut, den man sehr gewissenhaft ausfüllen sollte, denn davon hängt ab, ob man gerade Blut spenden darf oder nicht. Die ersten paar Fragen drehten sich um Krankheiten in den letzten 4 Wochen, Medikamente, die man eingenommen hat, Krankheiten, die man schon hatte, Impfungen etc. Ich habe und hatte nie irgendwelche großen Sachen, trotzdem mussten wir uns mühsam durch lange Listen von Krankheiten auf Polnisch arbeiten – und das stehend. Das war dann wohl ein wenig zu viel für mich ... Ich fühlte noch, wie mein Sichtfeld von schwarzen Pixeln aufgefressen wurde, sagte wohl noch etwas wie "Ich fühl mich nicht gut, ich setz mich mal hin" und dann setzt meine Erinnerung erst wieder ein, als ich auf den Boden liegend krampfhaft versuchte mich zu erinnern, wer mir da gerade die Hand hielt.
Ich wurde dann lieb von den Ärztinnen mit einer Liege und Tee versorgt und bekam aufgetragen, schnurstracks nach Hause zu gehen. Mal davon abgesehen, dass ich an jenem Tag eh keinen Lebenssaft mehr hätte abgeben können, weil mein Blutdruck im Eimer war, hatten Kasia und ich einen kleinen Punkt übersehen: Die 4 Kriterien für eine Blutspende sind nämlich:

1. Du musst zwischen 18-30 (oder 35) Jahre alt sein.
2. Du musst mehr als 50kg wiegen.
3. Du musst frei von all den aufgezählten Krankheiten sein und alle Kriterien des Fragebogens erfüllen.
4. Du musst über ausreichend gute Polnischkenntnisse in Schrift und Sprache verfügen.

Ja, ich habe schon verstanden, wenn man mich zum 10ten Mal fragte "Jak się czyjesz?" (Wie fühlst du dich?), aber für alles hat es dann doch nicht gereicht und erst recht nicht in dem weggetretenen Zustand. Ich werde also warten müssen, bis ich zurück in Deutschland bin.

Überdies kann ich aber berichten, dass es sehr voll in dem Zentrum war und besonders sehr viele junge Leute (vor allem Männer) Blut spenden waren. Nach der Anstrengung werden die Lebensretter dann mit Getränken und einem kleinen Esspaket versorgt, das vor allem Schokolade enthält – Geld gab es, zumindest hier, keines.

Krew bedeutet übrigens "Blut" und omdlenie "Ohnmacht".

Freitag, 23. Januar 2015

Samstag bis Sonntag, 17. - 18.01.2015: Wie zwei unbekannt' Gefährten uns viel über Lublin lehrten

Getreu unserem Motto, bis zum Ende unseres EVS möglichst viel von Polen gesehen zu haben, brachen wir an jenem Wochenende in die von vielen empfohlene aber von wenigen besuchte Stadt Lublin auf. Sie hat fünf Universitäten und im Moment sehr viele ukrainische Studenten. Aber mal davon abgesehen ist Lublin die Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft, die neuntgrößte Stadt Polens und nur 3 Polskibusstunden von Warschau entfernt, weshalb Ira und ich unsere Ränzlein packten und bei warmem, sonnigem Wetter gen Südosten aufbrachen. Der Bus war sehr voll, denn viele Lubliner arbeiten in Warschau und pendeln wöchentlich zwischen den beiden Großstädten hin und her. In Lublin empfing uns zuerst das Schloss mit seinem Eulenkopf-Eingang, dann ein riesiger Busbahnhof mit vielen, sehr hässlichen, unterschiedlich großen Blockbauten dahinter. Besonders ins Auge sprang jedoch der neue Komplex des Krebs-Centrums, der in grellem rot und neongrün angestrichen war. Wir ließen uns jedoch nicht entmutigen und trafen auch schon bald unsere Gastgeber, bei denen wir übernachten würden. Das liebe Ehepaar von Mitte 30 war mit Bein und Bauchnabel aus Lublin und konnte uns nicht nur eine Menge über die Stadt erzählen, sondern auch die interessanten Ecken ab von den Touristenströmen zeigen (naja, Touristenströme waren nun nicht gerade unterwegs, aber es sind ja auch gerade Ferien und viele bestimmt in den Bergen Skifahren ...). 
Zuerst besuchten wir das Lubliner Schloss, welches im 14. Jahrhundert errichtet worden war, aber im 17. im polnisch-schwedischen Krieg fast vollständig zerstört wurde. Nur der Turm und die alte Dreifaltigkeitskapelle sind heute noch im Original zu bestaunen. Besonders wertvoll ist die im gotischen Stil erbaute Kapelle, die innen allerdings nach östlicher Art vollständig ausgemalt und in Blautönen gehalten ist.


Blick in den Innenhof des Schlosses mit Donjon

In der Kapelle

Im Museum des Schlosses fanden wir alte Theater, Nussknacker verschiedener Länder und einen Tisch, um den sich eine Sage rankt: Einer Frau gehörte ein Haus, aber ein reicher Mann wollte dieses Haus haben und beschuldigte die Frau der Hexerei. Er bezahlte den Richtern viel Geld, sodass das Urteil zu seinen Gunsten ausfiel. Über das ungerechte Urteil empört rief die Frau, dass selbst die Teufel ein gerechteres Urteil fällen könnten. Dafür muss man nun wissen, dass unter Lublin früher Teufel gewohnt haben (oder heute immer noch tun?). Als die Teufel das hörten, kamen sie des Nachts von unter der Erde nach oben und machten einen neuen Prozess, der der Frau ihr Haus zusprach. Als Zeichen, dass das Urteil rechtskräftig war, hinterließ der Oberteufel seinen Handabdruck auf dem Richtertisch, welchen man heute im Museum anschauen kann.
Nach einigen Diskussionen, ob Teufel nun nur an den Füßen Hufe haben oder auch an den Händen (denn wie sollten sie dann Handabdrücke hinterlassen) querten wir eine kleine Brücke und standen schon in der Innenstadt, die zwar schön alt ist, aber auch sehr zerfallen und nicht renoviert, weshalb der Charme der Gebäude nicht so hervorkommt. Auf unser Fragen erklärte man uns, dass nach dem Krieg die meisten Hauseigentümer enteignet wurden und viele nun darauf warteten, bis die Stadt die Häuser renoviert hatte, um sich nicht an den Kosten beteiligen zu müssen, weshalb sich die Stadt nicht so viel Mühe gibt, die Altstadt wieder herzurichten.

Die linke Hand des Teufels ...


Grundrisse der St. Michaelskirche auf dem Plac Po Farze

Eine renovierte Ecke in der Altstadt

Zu Abend aßen wir in einem gemütlichen, typisch polnischem Gasthof, bevor wir auf unserem Abendspaziergang am Jeans-Denkmal vorbeikamen und dem Wahrzeichen der Stadt, der Ziege, einen Besuch abstatteten.
Unsere Gastgeber hatten wir auf Couchsurfing gefunden, einer Webseite, die bestimmt einigen bekannt ist. Man kann dort, wenn man verreisen will, nach Leuten suchen, die noch ein Bett oder ein Sofa frei haben und das kostenlos für Reisende anbieten. Der Gedanke hinter Couchsurfing ist aber nicht nur das billige Übernachten auf Reisen, sondern dass man auf diesen Reisen interessante, internationale Leute treffen und sich austauschen kann. So zeigten uns unsere Hosts Bilder von ihrem letzten Japan-Urlaub und ich muss schon sagen ... jetzt will ich auch mal da hin.
Da das Wetter am Sonntagmorgen drastisch umgeschlagen hatte, entschieden wir uns gegen einen Ausflug zum See, sondern besuchten das nahe Konzentrationslager Majdanek. Trotz der knappen Zeit konte ich viele Eindrücke sammeln und möchte sie adäquat aufbereiten, weshalb der Bericht über Majdanek später folgen wird.


Mittwoch, 21. Januar 2015

Donnerstag, 15.01.2015: Kubuś Puchatek im Kindergarten

Na, hat überhaupt jemand erraten können, wer uns da im Kindergarten besucht hat? Vermutlich nicht, denn der gemütliche, gelbe Bär hat im Deutschen einen ganz und gar anderen Namen, nämlich Winnie Puuh. An jenem Donnerstag stand mal wieder Theater auf dem Tagesplan und diesmal besuchte uns die erste Klasse eines Liceums (d.h. 10te Klasse) und führte für die Kinder mehrere kleine Winnie Puuh Geschichten auf. Die Kostüme waren wirklich großartig und alle waren da, Winnie Puuh, Tigger und Ferkel, Rabbit, I-Aah und Christopher Robin (das waren jetzt alle Charaktere, die ich erkannt habe, denn so gut kenne ich mich mit Winnie Puuh auch nicht aus), aber es gab auch noch lebende Bäume, Bienen natürlich, einen Erzähler und so weiter und so fort. Das allerschönste war, dass die Schüler nach ihrer Aufführung noch mit unseren Kindern gespielt haben. Sie hatten Seifenblasen und Luftballons mitgebracht und weil sie so viele waren, war immer irgendjemand bei jedem Kind, sodass wir "Hauptamtlichen" uns mal zurücklehnen und zuschauen konnten. Es war wundervoll zu sehen, wie viel Spaß nicht nur unsere Kinder hatten, die alle auf Theater voll abfahren, sondern auch wie sehr es den Schülern Spaß machte, selbst dem unmotiviertesten, nur geradeaus starrenden Kind mit Schminke und den Ballons Freude zu bereiten.


Montag, 12. Januar 2015

Dienstag, 06.01.2015: Heilige Drei Könige

Das Fest der Heiligen Drei Könige in Polen hat einen etwas anderen Stellenwert als in Deutschland, was man nicht nur dadurch merkt, dass dieser Tag ein gesetzlich festgelegter Feiertag ist, an dem sogar unser 24/7 Großmarkt Tesco die Tore verschlossen hält, nein, es gibt auch keine Sternsinger, zumindest nicht im Osten. Während in Deutschland die Sternsingeraktion tagelang im Vordergrund steht, bei der als Könige verkleidete Kinder von Tür zu Tür ziehen, den Segen bringen und Spenden für Kinder in Not sammeln, gibt es in Polen höchstens in grenznahen oder ehemals deutschen Städten Sternsinger (z.B. in Breslau). Trotzdem sieht man an allen Türen den Segen geschrieben (und nicht wie in Deutschland zunehmend geklebt). Wie kommt das also?
Das fand ich heraus, als ich am 06.01 die Messe besuchte. Am Ende des Gottesdienstes wurden abgepackte Kreidestückchen und (doch auch) Aufkleber gesegnet (mit dem Playmobil-Besen-Aspergil, man erinnert sich) und am Ausgang durfte sich jeder mitnehmen, was er für Zuhause brauchte. Das ließen Ira und ich uns natürlich auch nicht entgehen und jetzt kleben über unseren beiden Zimmertüren rote Segenssticker.




Der Segen ist hier übrigens ein bisschen anders geschrieben als in Deutschland. Während wir

20 * C + M + B + 15

schreiben (und darauf bestehen, dass die Buchstaben für Christus mansionem benedicat (Christus segne dieses Haus) und nicht für die Namen der drei Weisen kodieren), lautet der polnische Segen

K + M + B 2015 r.

Deshalb recherchierte ich ein bisschen und empfehle jedem des Polnischen mächtigen diesen Text. Für alle anderen fasse ich sehr kurz zusammen, was darin als Hauptgrund genannt wird, warum der Segen vom Deutschen abweicht. Wie viele weihnachtliche Traditionen kommt auch die Tradition des Haussegens an Epiphanias aus Deutschland. Da viele Unwissende die Großbuchstaben als Anfangsbuchstaben der drei Könige auffassten, schwappte die Tradition schon mit einer Falschinformation in den Osten über, wo der Name Caspar natürlich zu Kaspar wurde, der Segen nun aber an sich nicht mehr die Intention, dass Christus das Haus segnen möge, wiedergibt. Erwähnter Artikel deutet aber die Möglichkeit auf, das K für Kristus anzusehen (eher zweifelhaft, dass im Segen die slawische und romanische Sprache gemischt wurden) oder gar für Kyrios mansionem benedicat (Der Herr segne dieses Haus). In einigen Regionen lautet der Segen übrigens auch G + M + B (denn in Latein heißt der König Gaspar).

Mittwoch, 7. Januar 2015

Montag, 05.01.2015: Mission "Wir lernen Polen kennen" – ein Ausflug in die vierzehntgrößte Stadt Polens

Da wir die zusätzlichen, freien Tage bis zum Arbeitsbeginn am 07.01 nutzen wollten, entschlossen wir uns, am wärmsten der Tage einen Ausflug zu machen und nachdem wir alle Polskibus-Ziele ausgekundschaftet hatten fiel die Wahl auf den am nahsten gelegenen Ort Radom, der sogar noch in unserer Woiwodschaft Masowien liegt. Frederike, Elodie und ich trafen uns am Busbahnhof Wilanowska mit unserer Freundin Paula, die wir aus dem Sprachkurs kennen, und schon startete bei feinstem Sonnenschein und Temperaturen nur etwa um den Gefrierpunkt unsere Reise in den Süden in die vierzehntgrößte Stadt Polens. Radom hat mit rund 217.000 Einwohner sogar mehr Bürger als meine Landeshauptstadt Erfurt, die sich aber auf einer Fläche drängeln, die nur etwa 2/5 so groß ist (ein bisschen kleiner als Jena). Das merkten wir schon, als wir die Stadtgrenze überfuhren und uns ausladende, unrenovierte Blockbauten begrüßten. Auch der touristisch erschlossenen Stadtkern ließ sich in 3h locker erlaufen und dabei schauten wir in jede Kirche, die uns begegnete und aßen zwischendurch noch zu Mittag.
Nach der eben erwähnten Stärkung führte uns unser Weg zuerst zum Dom der Heiligen Jungfrau, der zur Jahrhundertwende bis 1911 gebaut wurde und seit 1992 Radoms Dom ist. Aus Radomer Ziegeln errichtet und mit Sandstein verkleidet wartet er im Inneren mit zahlreichen Figuren und einem als Triptik geschaffenen Altar auf. Im Tadeusz Kościuszko Park trafen wir auf eine sehr moderne Büste Fryderyk Chopins und ein Denkmal des bedeutenden polnische Dichters Jan Kochanowski, der im 16. Jahrhundert in der Nähe Radoms geboren wurde.


Dom der Heiligen Jungfrau


Unser lieber, alter Fryderyk ...

Unser Weg führte uns nun auf der Hauptstraße weiter an der St. Stanislaus Garnisonskirche vorbei, vor welcher wie in Warschau eine Gedenkplatte für den unbekannten Soldaten aufgestellt ist. Im Innenraum der ehemals orthodoxen Kirche fällt einem außerdem besonders die Kanzel in Form eines Schiffes ins Auge.
Weiter ging es zum Bernhadinerkloster, das eine ausgeklügelte Krippe ausstellte, in der das Wasser floss, Vögel sangen, Schafe blökten und die Menschen sogar ein paar Handgriffe taten. Vor dem Kloster erinnert nicht nur ein Denkmal an den Flugzeugabsturz in Smolensk, bei dem u.a. der Präsident Polens Lech Kaczyński und seine Frau Maria ums Leben kamen, sondern auch eine Figur der unbefleckten Mutter Gottes an den geschichtlich bedeutenden Januaraufstand 1863, einen in Kongresspolen besonders vom Adel geführten Partisanenkrieg gegen die russische Teilungsmacht, der aber brutal niedergeschlagen wurde, weil es nicht gelang, den Großteil der Bauern und Bürger für den Kampf zu gewinnen. In Radom zeugen viele Spuren vom Aufstand, etwa diente das Bernhadinerkloster als Gefängnis und die Mutter-Gottes-Figur als Treffpunkt der Radomer Bürger für Kundgebungen, bei denen sie patriotische und religiöse Lieder sangen.
Wir besuchten auch ein Stück rekonstruierte Stadtmauer, bevor uns unser Weg weiter zum neurenaissancistischem Rathaus haben, welches aber eher einem Gefängnis glich und mit französischer Neurenaissance anscheinend nicht viel zu tun hatte, so wie ich Elodies Miene interpretierte. Das Rathaus steht am Marktplatz, auf dem ein weiteres Denkmal der Legionen an den Januaraufstand erinnerte. Dort auf dem Marktplatz trafen wir dann auch unseren Freund, einen wuscheligen und sehr zutraulichen Hund, der anscheinend kein Herrchen hatte und sich schlussendlich auch als Hündin herausstellte.

Garnisonskirche


Maria und Lech Kaczyński

Bernhadinerkloster

Rekonstruierte Stadtmauer

Das neurenaissancistische Gefäng... äh ... Rathaus


Esterka und Gąska

Zuletzt statteten wir Esterka und Gąska noch einen Besuch ab, zwei Bürgerhäusern aus dem 17. und 16. Jahrhundert, uns schon machten wir uns über einen Umweg in einem gemütliches Café auf den Heimweg.

Dienstag, 6. Januar 2015

Freitag bis Freitag, 26.12.2014 - 02.01.2015: Europäisches Taizé-Treffen in Prag

Unser erster Schnee – Blick in den Innenhof unseres Hauses

Am 26.12 hatte mich meine Kollegin und Ansprechpartnerin im Kindergarten, die Logopädin Aga, zu ihren Eltern eingeladen und sie und ihr Mann Bart holten mich schon mit all meinem Gepäck von daheim ab. Ich wurde herzlich begrüßt, wir speisten gut und sangen Weihnachtslieder, ich durfte die weltumfassende Glockensammlung von Agas Eltern und die selbstgebauten und flugfähigen Modellflugzeuge von Agas Bruder bestaunen (die sind so groß, dass sogar seine fette Katze (etwa im Felix-Format) in einem Modell mitfliegen konnte!) und später wurde ich unter ausführlichen Erklärungen durch die neue Wohnung geführt und jeder geplante Umbauschritt wurde mir euphorisch dargelegt. Da zeigte sich zum ersten Mal, was ich bereits auf meiner Hinfahrt in Steffen Möllers Buch gelesen hatte: Das Eigenheim oder zumindest der eigenen Wohnraum stellt für viele Polen ein bedeutendes Ziel dar und so gibt es für die nichts Schöneres, als darüber zu reden und andere daran teilhaben zu lassen. Langweilig war es aber keineswegs ... da kann ich mir gleich schon mal ein paar Inspirationen für meine spätere Studentenbude holen ... und Vati darf dann werkeln ... ;)
Mein Bus fuhr kurz vor Mitternacht ab und obwohl am Bahnhof nichts ausgeschildert war, verfehlte ich ihn nicht und konnte auf der 10-stündigen Fahrt nach "Nachts im Museum 2" auch recht gut bis Prag durchschlafen. Es war reichlich kalt und irgendwie hatte ich verpeilt, dass es in der Tschechei ja noch keinen Euro gab und als ich dann vor dem Problem stand, Geld tauschen zu müssen, entschied ich mich, weil das Wetter so schön war und ich unglaublich viel Zeit hatte, bis nach Letňany, dem Stadtteil, in dem das Messegelände stand, in welchem der Hauptteil des Treffens stattfinden sollte, zu laufen. Dafür fotografierte ich mir eine Straßenbahnkarte ab, denn der Reiseführer, den mir meine Tante und mein Onkel vorausschauend zu Weihnachten geschenkt hatten, beinhaltete keine Karte, die so weit in den Norden reichte. Und dann folgte ich erst den Schienen, dann der Straßenbahn, später Straßennahmen, kraxelte über einen Berg und über eine sehr große Kreuzung und siehe da, schon stieg der rot-graue Messekomplex vor mir auf.


Was ich alles nicht gesehen hätte, wenn ich Metro gefahren wäre ...


Dieser Tag war nur für die Ankunft der Freiwilligen ausgeplant. Ich sollte wohl anmerken: Das Treffen an sich ging vom 29.12 bis zum 02.01, aber man konnte sich als Freiwilliger melden und schon zwei Tage eher anreisen und genau das hatten Frederike, Ira und ich auch getan, nur dass wir alle aus unterschiedlichen Orten ankamen, Frederike von daheim, Ira aus Poznań von einer Freundin und ich aus Warschau. Ich kam also an, legte mein Gepäck ab und ging erst einmal zur Anmeldung, die dann auch recht kurz ausfiel, weil wir zum Mittag sollten. Ach, wie lecker doch diese trockenen, in Plastiktütchen abgepackten Brötchen im Gegensatz zu dem noch trockeneren Brot schmeckten ... Ich wartete noch eine Weile im Warmen bevor ich Frederike von der Metro abholte und wir uns gemeinsam eine Arbeit geben ließen – "evening transport team". Wir ahnten ja nicht, was sich dahinter verbergen sollte ...
Nach dem gemeinsamen Abendgebet fuhren wir schließlich mit der Metro zu unserer Gemeinde, wo wir unsere Gastfamilie zugeteilt bekommen sollten. Die Orientierungshilfe auf unserem Fahrtenschein verwirrte uns aber nur noch mehr, denn die Metrostation und der KFC waren auf der falschen Seite der Straße eingetragen und so gingen wir dazu über uns anhand der Straßennamen und unserer großen Pilgerkarte einen Weg zu bahnen. Ich muss hinzufügen, dass tschechische Straßen die seltsame Angewohnheit haben, mitten auf der Kreuzung ihren Namen zu ändern, weshalb es nicht reichte, auf einer Seite der Kreuzung nach dem Namen zu gucken, sondern man stets auf beiden Seiten die gut versteckten Namesschilder aufspüren musste. Das kleine, hölzerne Kapellchen unserer Gemeinde stand dann aber doch überraschend schnell vor unserer Nase, wir wurden herzlich empfangen und zu Tee genötigt und schließlich endeten wir, weil wir trotz zeitigen Erscheinens am Ende übrig waren, bei dem Junggesellen Jakub, der schon zwei Ukrainer aufgenommen hatte (was ganz offiziell nicht zulässig ist, da Mädels und Jungs nicht zusammen nächtigen dürfen). Wir waren aber glücklich, nicht in einer Turnhalle geendet zu sein, und bekamen sogar, während die Jungs auf dem Flur schliefen, das Schlafsofa unseres Gastgebers zur Verfügung gestellt.


♪ Greek is all around me ... ♫
Der Sonntag verging. Des Morgens hingen wir bei -6°C 2h lang Orientierungsschilder für unsere Arbeit auf und tanzten zwischendurch Bewegungstänze, um nicht einzufrieren. Immerhin konnten wir den Arbeitsbeginn für den nächsten Tag von 6 Uhr morgens auf 7 Uhr morgens hinauszögern. Dann brachen wir zu einer kleinen Entdeckungstour in die Stadt auf und besichtigten vor allen Dingen die Karlsbrücke, weil sie nicht nur nah an der Metro war, sondern außerdem sehr berühmt ist. In der Abendmesse kam dann für mich zum ersten Mal das versprochene Taizé-Gefühl auf und ich begann mich in der Gruppe und Atmosphäre der Veranstaltung wohl zu fühlen.
Der Montag brach mit grausamer Unbarmherzigkeit an und noch vor Tau und Tag verließen wir unsere warmen Schlafsäcke. Aus Zeitgründen frühstückten wir in der Metro und traten dann mit gelben Westen und weißen "Please wait a minute, the train is full. Thank you!"-Schildern unsere Arbeit an. Ja, es war 3 Grad wärmer als am Vortag (also nur noch -3°C), dafür hatte es aber angefangen barbarisch zu schneien und zu stürmen und ich beneidete die armen Kreaturen auf dem Busbahnhof keinesfalls um ihren Job, während ich zwar in kalter Zugluft, aber immerhin in der Nähe eines Kaffeeautomaten hockte und jedem zweiten Menschlein freundlich erklärte, wo die Metro war (direkt hinter meinem Rücken) und warum hier so viele Massen unterwegs waren. Das eigentlich Konzept war gewesen, die in ihre Gemeinden strömenden Teilnehmer in verschiedenen Etappen vor und in der Metro zu stoppen, wenn die Metro voll war, damit das Nahverkehrssystem Prags nicht unseretwegen zusammenbrach. Aber es stellte sich als absolut sinnlos heraus, alle zwei Meter zuzumachen und so zogen wir unsere mauen Einsatzkräfte dann an dem Punkt zusammen, wo man direkt zur Metroplattform hinabstieg und koordinierten unter Einsatz all unserer Körperwärme und Motivation 7h lang die ankommenden und abfahrenden Menschenmengen, schafften einen Korridor für Prags Bewohner und stapften schließlich ausgekühlt aber glücklich durch eine weiße Schneelandschaft zurück zum Messegelände, um uns einen heißen Tee zu gönnen.



Der Dom

Die Karlsbrücke


Frederike, ich und unsere Freundin Rūta aus Litauen
Für den 30. und 31.12 sah der Tag stets wie folgt aus: Morgengebet in der Gastgemeinde, in der man untergebracht war, danach Diskussion in Kleingruppen zu verschiedenen Aspekten des Themas "Salz der Erde sein", z.B. "Den Menschen einen Geschmack am Leben finden lassen" oder "Dem Frieden dienen". Je nach Lust und Zeit konnte man nach diesem offiziellen teil noch ein wenig zusammensitzen und Mittag essen, spielen oder singen. Zum Mittagsgebet war man dann immer in eine große Kirche in der Innenstadt eingeladen, ich war z.B. in der Kirche der Mutter Gottes vor Tyn am Markt und in der bedeutenden Barockkirche St. Nikolaus. Gebete, Psalmen und Meditationen von den Brüdern aus Taizé wurden stets in verschiedenen Sprachen vorgetragen, sodass möglichst jeder etwas in seiner Muttersprache hörte oder zumindest die Impulse verstand. Am Nachmittag wurden Workshops veranstaltet und die große, durchdachte Auswahl an Angeboten zu den Oberthemen Spiritualität, Kirche, Solidarität und Gesellschaft sowie Kunst und Glauben machten einem nicht nur die Entscheidung schwer, sondern hielt auch für jeden etwas bereit. Am ersten Tag besuchten Frederike und ich einen Vortrag über "Glaube und Unglaube", den wir uns beide unabhängig voneinander ausgesucht hatten und dann auch noch von unserem Gastgeber wegen des Referenten, Pfarrer Tomáš Halík, empfohlen bekamen. Am zweiten Tag besuchte ich einen Vortrag über internationale Sicherheit zu dem Thema "Hat der Friede eine Zukunft?" und was man angesichts der gegenwärtigen Unruhen tun könne. Dieser Dialog fesselte mich sogar so sehr, dass ich das mit Frederike geplante Treffen verschieben musste, weil ich nicht eher gehen wollte. Ab halb 6 konnte man sich dann sein Abendbrot plus Lunchpaket für das nächste Frühstück und Mittagessen abholen bis der Tag mit einem gemeinsamen Abendgebet in der Kathedrale oder verschiedenen Hallen des Messegeländes endete. Nun, für normale Teilnehmer endete, denn nach der Stille mussten wir unser Abendgebet schon immer eher verlassen und verpassten somit stets das Gebet am Kreuz (worüber ich deshalb auch gar nichts erzählen kann), weil wir zu unserer Arbeit mussten, die meistens gegen 10 Uhr endete. Wir hatten zwar von Tag zu Tag weniger Arbeit und auch eine schwindende Motivation, jeden Tag wieder mit jedem abzuklatschen, aber immerhin wünschten wir 2h am Stück in fast allen Sprachen "Frohes neues Jahr" und wie sehr sich die Polen darüber freuten, auch wenn sie von unserer neuen Idee anstatt "Szczęśliwego nowego roku" "Coolego nowego roku" zu wünschen (schon, weil das jeder besser aussprechen könnte) nicht sehr begeistert waren.

Die Mutter-Gottes-Kirche von außen ...

... und von innen.

Im Vortrag von Pfarrer Tomáš Halík

Abendgebet in Halle 7

Morgengebet in der Holzkapelle unserer Gastgemeinde

Barockkirche St. Nikolaus

Am Silvestertag war außerdem noch etwas ganz besonderes geplant: Um 11 Uhr gab es ein Nachtgebet in den Gastgemeinden und anschließend das "Fest der Nationen", eine Party mit Gesang und Tanz aus jedem der anwesenden Länder, mit kleinen Häppchen von den Gastfamilien und sehr viel Spaß. Vom Feuerwerk bekamen wir nicht soviel mit, vielleicht war einfach auch nicht so viel los wie man es von Deutschland gewöhnt ist, zumindest sahen auch die Straßen am nächsten Morgen unglaublich sauber aus und wenn man es nicht gewusst hätte, hätte man nicht erkannt, dass am Vorabend Silvester gewesen war.
Am 01. Januar nahmen wir am Festgottesdienst in unserer Gastgemeinde teil und wurden hinterher von Familien zum Mittagessen eingeladen. Frederike und ich kamen in eine sehr liebe Familie, in der sowohl die Eltern als auch der Sohn ein bisschen Deutsch konnten und so genossen wir die liebevoll angerichtete Gans mit Rot- und Bayrisch Kraut sowie Knödeln, ließen uns hinterher noch ein paar selbstgebackene Plätzchen schmecken und brachen guter Dinge bei wundervollem Wetter zu unserem Nationentreffen zum Messegelände auf. Da wir vor umsorgender Liebe nicht eher gehen gelassen waren, kamen wir etwas zu spät an, aber das machte auch nichts, denn das Treffen aller deutschen Teilnehmer stellte sich doch nur als Werbeveranstaltung für das Festjahr 2015 (75 Jahre Communauté de Taizé, 100. Geburtstag von Frère Roger sowie dessen 10. Todestag) heraus und so spielte ich mit ein paar alten Freunden aus dem SEB Doppelkopf – die hatten mich natürlich überredete. Da würde ich ja nie von selbst drauf kommen ... ;)
Das letzte gemeinsame Abendgebet wartete mit einer weiteren Überraschung auf: Es wurde die Feier des Osterlichtes begangen. Jeder bekam am Eingang eine dünne Kerze ausgeteilt und während der Gesänge gingen Kinder herum und gaben das Licht weiter, sodass es sich schnell in der Halle ausbreitete und bald überall die kleinen Flammen den großen Raum erhellten. Ich muss allerdings gestehen, dass die Kohlendioxidbelastung schon sehr hoch war ich ich beim Verlassen der Halle erst merkte, wie schwer mir das Atmen gefallen war.

Bei einem ungarischen Tanz




Und schon hieß es Abschied zu sagen. Nach unserer letzten Arbeitsschicht stürmten unsere lieben, italienischen Mitarbeiter auf den Koordinator Simon zu und erdrückten ihn fast unter sich. Obwohl wir sehr müde waren, feierten wir auch in unserer Wohnung noch eine Abschlussfete mit in Plastikflaschen umgefülltem Bier (frisch aus der Kneipe) und alter, deutscher Partymusik ("Moskau" von Dschinghis Khan) sowie diversen ukrainischen Talenten, bevor unsere letzte Nacht anbrach und wir uns am nächsten Morgen durch Prags Heulanfall hindurch zu einem vollkommen aufgeweichten Busparkplatz hin kämpfen mussten. Was für eine schöne Zeit da doch zu Ende ging ...