Dienstag, 6. Januar 2015

Freitag bis Freitag, 26.12.2014 - 02.01.2015: Europäisches Taizé-Treffen in Prag

Unser erster Schnee – Blick in den Innenhof unseres Hauses

Am 26.12 hatte mich meine Kollegin und Ansprechpartnerin im Kindergarten, die Logopädin Aga, zu ihren Eltern eingeladen und sie und ihr Mann Bart holten mich schon mit all meinem Gepäck von daheim ab. Ich wurde herzlich begrüßt, wir speisten gut und sangen Weihnachtslieder, ich durfte die weltumfassende Glockensammlung von Agas Eltern und die selbstgebauten und flugfähigen Modellflugzeuge von Agas Bruder bestaunen (die sind so groß, dass sogar seine fette Katze (etwa im Felix-Format) in einem Modell mitfliegen konnte!) und später wurde ich unter ausführlichen Erklärungen durch die neue Wohnung geführt und jeder geplante Umbauschritt wurde mir euphorisch dargelegt. Da zeigte sich zum ersten Mal, was ich bereits auf meiner Hinfahrt in Steffen Möllers Buch gelesen hatte: Das Eigenheim oder zumindest der eigenen Wohnraum stellt für viele Polen ein bedeutendes Ziel dar und so gibt es für die nichts Schöneres, als darüber zu reden und andere daran teilhaben zu lassen. Langweilig war es aber keineswegs ... da kann ich mir gleich schon mal ein paar Inspirationen für meine spätere Studentenbude holen ... und Vati darf dann werkeln ... ;)
Mein Bus fuhr kurz vor Mitternacht ab und obwohl am Bahnhof nichts ausgeschildert war, verfehlte ich ihn nicht und konnte auf der 10-stündigen Fahrt nach "Nachts im Museum 2" auch recht gut bis Prag durchschlafen. Es war reichlich kalt und irgendwie hatte ich verpeilt, dass es in der Tschechei ja noch keinen Euro gab und als ich dann vor dem Problem stand, Geld tauschen zu müssen, entschied ich mich, weil das Wetter so schön war und ich unglaublich viel Zeit hatte, bis nach Letňany, dem Stadtteil, in dem das Messegelände stand, in welchem der Hauptteil des Treffens stattfinden sollte, zu laufen. Dafür fotografierte ich mir eine Straßenbahnkarte ab, denn der Reiseführer, den mir meine Tante und mein Onkel vorausschauend zu Weihnachten geschenkt hatten, beinhaltete keine Karte, die so weit in den Norden reichte. Und dann folgte ich erst den Schienen, dann der Straßenbahn, später Straßennahmen, kraxelte über einen Berg und über eine sehr große Kreuzung und siehe da, schon stieg der rot-graue Messekomplex vor mir auf.


Was ich alles nicht gesehen hätte, wenn ich Metro gefahren wäre ...


Dieser Tag war nur für die Ankunft der Freiwilligen ausgeplant. Ich sollte wohl anmerken: Das Treffen an sich ging vom 29.12 bis zum 02.01, aber man konnte sich als Freiwilliger melden und schon zwei Tage eher anreisen und genau das hatten Frederike, Ira und ich auch getan, nur dass wir alle aus unterschiedlichen Orten ankamen, Frederike von daheim, Ira aus Poznań von einer Freundin und ich aus Warschau. Ich kam also an, legte mein Gepäck ab und ging erst einmal zur Anmeldung, die dann auch recht kurz ausfiel, weil wir zum Mittag sollten. Ach, wie lecker doch diese trockenen, in Plastiktütchen abgepackten Brötchen im Gegensatz zu dem noch trockeneren Brot schmeckten ... Ich wartete noch eine Weile im Warmen bevor ich Frederike von der Metro abholte und wir uns gemeinsam eine Arbeit geben ließen – "evening transport team". Wir ahnten ja nicht, was sich dahinter verbergen sollte ...
Nach dem gemeinsamen Abendgebet fuhren wir schließlich mit der Metro zu unserer Gemeinde, wo wir unsere Gastfamilie zugeteilt bekommen sollten. Die Orientierungshilfe auf unserem Fahrtenschein verwirrte uns aber nur noch mehr, denn die Metrostation und der KFC waren auf der falschen Seite der Straße eingetragen und so gingen wir dazu über uns anhand der Straßennamen und unserer großen Pilgerkarte einen Weg zu bahnen. Ich muss hinzufügen, dass tschechische Straßen die seltsame Angewohnheit haben, mitten auf der Kreuzung ihren Namen zu ändern, weshalb es nicht reichte, auf einer Seite der Kreuzung nach dem Namen zu gucken, sondern man stets auf beiden Seiten die gut versteckten Namesschilder aufspüren musste. Das kleine, hölzerne Kapellchen unserer Gemeinde stand dann aber doch überraschend schnell vor unserer Nase, wir wurden herzlich empfangen und zu Tee genötigt und schließlich endeten wir, weil wir trotz zeitigen Erscheinens am Ende übrig waren, bei dem Junggesellen Jakub, der schon zwei Ukrainer aufgenommen hatte (was ganz offiziell nicht zulässig ist, da Mädels und Jungs nicht zusammen nächtigen dürfen). Wir waren aber glücklich, nicht in einer Turnhalle geendet zu sein, und bekamen sogar, während die Jungs auf dem Flur schliefen, das Schlafsofa unseres Gastgebers zur Verfügung gestellt.


♪ Greek is all around me ... ♫
Der Sonntag verging. Des Morgens hingen wir bei -6°C 2h lang Orientierungsschilder für unsere Arbeit auf und tanzten zwischendurch Bewegungstänze, um nicht einzufrieren. Immerhin konnten wir den Arbeitsbeginn für den nächsten Tag von 6 Uhr morgens auf 7 Uhr morgens hinauszögern. Dann brachen wir zu einer kleinen Entdeckungstour in die Stadt auf und besichtigten vor allen Dingen die Karlsbrücke, weil sie nicht nur nah an der Metro war, sondern außerdem sehr berühmt ist. In der Abendmesse kam dann für mich zum ersten Mal das versprochene Taizé-Gefühl auf und ich begann mich in der Gruppe und Atmosphäre der Veranstaltung wohl zu fühlen.
Der Montag brach mit grausamer Unbarmherzigkeit an und noch vor Tau und Tag verließen wir unsere warmen Schlafsäcke. Aus Zeitgründen frühstückten wir in der Metro und traten dann mit gelben Westen und weißen "Please wait a minute, the train is full. Thank you!"-Schildern unsere Arbeit an. Ja, es war 3 Grad wärmer als am Vortag (also nur noch -3°C), dafür hatte es aber angefangen barbarisch zu schneien und zu stürmen und ich beneidete die armen Kreaturen auf dem Busbahnhof keinesfalls um ihren Job, während ich zwar in kalter Zugluft, aber immerhin in der Nähe eines Kaffeeautomaten hockte und jedem zweiten Menschlein freundlich erklärte, wo die Metro war (direkt hinter meinem Rücken) und warum hier so viele Massen unterwegs waren. Das eigentlich Konzept war gewesen, die in ihre Gemeinden strömenden Teilnehmer in verschiedenen Etappen vor und in der Metro zu stoppen, wenn die Metro voll war, damit das Nahverkehrssystem Prags nicht unseretwegen zusammenbrach. Aber es stellte sich als absolut sinnlos heraus, alle zwei Meter zuzumachen und so zogen wir unsere mauen Einsatzkräfte dann an dem Punkt zusammen, wo man direkt zur Metroplattform hinabstieg und koordinierten unter Einsatz all unserer Körperwärme und Motivation 7h lang die ankommenden und abfahrenden Menschenmengen, schafften einen Korridor für Prags Bewohner und stapften schließlich ausgekühlt aber glücklich durch eine weiße Schneelandschaft zurück zum Messegelände, um uns einen heißen Tee zu gönnen.



Der Dom

Die Karlsbrücke


Frederike, ich und unsere Freundin Rūta aus Litauen
Für den 30. und 31.12 sah der Tag stets wie folgt aus: Morgengebet in der Gastgemeinde, in der man untergebracht war, danach Diskussion in Kleingruppen zu verschiedenen Aspekten des Themas "Salz der Erde sein", z.B. "Den Menschen einen Geschmack am Leben finden lassen" oder "Dem Frieden dienen". Je nach Lust und Zeit konnte man nach diesem offiziellen teil noch ein wenig zusammensitzen und Mittag essen, spielen oder singen. Zum Mittagsgebet war man dann immer in eine große Kirche in der Innenstadt eingeladen, ich war z.B. in der Kirche der Mutter Gottes vor Tyn am Markt und in der bedeutenden Barockkirche St. Nikolaus. Gebete, Psalmen und Meditationen von den Brüdern aus Taizé wurden stets in verschiedenen Sprachen vorgetragen, sodass möglichst jeder etwas in seiner Muttersprache hörte oder zumindest die Impulse verstand. Am Nachmittag wurden Workshops veranstaltet und die große, durchdachte Auswahl an Angeboten zu den Oberthemen Spiritualität, Kirche, Solidarität und Gesellschaft sowie Kunst und Glauben machten einem nicht nur die Entscheidung schwer, sondern hielt auch für jeden etwas bereit. Am ersten Tag besuchten Frederike und ich einen Vortrag über "Glaube und Unglaube", den wir uns beide unabhängig voneinander ausgesucht hatten und dann auch noch von unserem Gastgeber wegen des Referenten, Pfarrer Tomáš Halík, empfohlen bekamen. Am zweiten Tag besuchte ich einen Vortrag über internationale Sicherheit zu dem Thema "Hat der Friede eine Zukunft?" und was man angesichts der gegenwärtigen Unruhen tun könne. Dieser Dialog fesselte mich sogar so sehr, dass ich das mit Frederike geplante Treffen verschieben musste, weil ich nicht eher gehen wollte. Ab halb 6 konnte man sich dann sein Abendbrot plus Lunchpaket für das nächste Frühstück und Mittagessen abholen bis der Tag mit einem gemeinsamen Abendgebet in der Kathedrale oder verschiedenen Hallen des Messegeländes endete. Nun, für normale Teilnehmer endete, denn nach der Stille mussten wir unser Abendgebet schon immer eher verlassen und verpassten somit stets das Gebet am Kreuz (worüber ich deshalb auch gar nichts erzählen kann), weil wir zu unserer Arbeit mussten, die meistens gegen 10 Uhr endete. Wir hatten zwar von Tag zu Tag weniger Arbeit und auch eine schwindende Motivation, jeden Tag wieder mit jedem abzuklatschen, aber immerhin wünschten wir 2h am Stück in fast allen Sprachen "Frohes neues Jahr" und wie sehr sich die Polen darüber freuten, auch wenn sie von unserer neuen Idee anstatt "Szczęśliwego nowego roku" "Coolego nowego roku" zu wünschen (schon, weil das jeder besser aussprechen könnte) nicht sehr begeistert waren.

Die Mutter-Gottes-Kirche von außen ...

... und von innen.

Im Vortrag von Pfarrer Tomáš Halík

Abendgebet in Halle 7

Morgengebet in der Holzkapelle unserer Gastgemeinde

Barockkirche St. Nikolaus

Am Silvestertag war außerdem noch etwas ganz besonderes geplant: Um 11 Uhr gab es ein Nachtgebet in den Gastgemeinden und anschließend das "Fest der Nationen", eine Party mit Gesang und Tanz aus jedem der anwesenden Länder, mit kleinen Häppchen von den Gastfamilien und sehr viel Spaß. Vom Feuerwerk bekamen wir nicht soviel mit, vielleicht war einfach auch nicht so viel los wie man es von Deutschland gewöhnt ist, zumindest sahen auch die Straßen am nächsten Morgen unglaublich sauber aus und wenn man es nicht gewusst hätte, hätte man nicht erkannt, dass am Vorabend Silvester gewesen war.
Am 01. Januar nahmen wir am Festgottesdienst in unserer Gastgemeinde teil und wurden hinterher von Familien zum Mittagessen eingeladen. Frederike und ich kamen in eine sehr liebe Familie, in der sowohl die Eltern als auch der Sohn ein bisschen Deutsch konnten und so genossen wir die liebevoll angerichtete Gans mit Rot- und Bayrisch Kraut sowie Knödeln, ließen uns hinterher noch ein paar selbstgebackene Plätzchen schmecken und brachen guter Dinge bei wundervollem Wetter zu unserem Nationentreffen zum Messegelände auf. Da wir vor umsorgender Liebe nicht eher gehen gelassen waren, kamen wir etwas zu spät an, aber das machte auch nichts, denn das Treffen aller deutschen Teilnehmer stellte sich doch nur als Werbeveranstaltung für das Festjahr 2015 (75 Jahre Communauté de Taizé, 100. Geburtstag von Frère Roger sowie dessen 10. Todestag) heraus und so spielte ich mit ein paar alten Freunden aus dem SEB Doppelkopf – die hatten mich natürlich überredete. Da würde ich ja nie von selbst drauf kommen ... ;)
Das letzte gemeinsame Abendgebet wartete mit einer weiteren Überraschung auf: Es wurde die Feier des Osterlichtes begangen. Jeder bekam am Eingang eine dünne Kerze ausgeteilt und während der Gesänge gingen Kinder herum und gaben das Licht weiter, sodass es sich schnell in der Halle ausbreitete und bald überall die kleinen Flammen den großen Raum erhellten. Ich muss allerdings gestehen, dass die Kohlendioxidbelastung schon sehr hoch war ich ich beim Verlassen der Halle erst merkte, wie schwer mir das Atmen gefallen war.

Bei einem ungarischen Tanz




Und schon hieß es Abschied zu sagen. Nach unserer letzten Arbeitsschicht stürmten unsere lieben, italienischen Mitarbeiter auf den Koordinator Simon zu und erdrückten ihn fast unter sich. Obwohl wir sehr müde waren, feierten wir auch in unserer Wohnung noch eine Abschlussfete mit in Plastikflaschen umgefülltem Bier (frisch aus der Kneipe) und alter, deutscher Partymusik ("Moskau" von Dschinghis Khan) sowie diversen ukrainischen Talenten, bevor unsere letzte Nacht anbrach und wir uns am nächsten Morgen durch Prags Heulanfall hindurch zu einem vollkommen aufgeweichten Busparkplatz hin kämpfen mussten. Was für eine schöne Zeit da doch zu Ende ging ...


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