Mittwoch, 27. Mai 2015

Freitag bis Sonntag, 01. - 03.05.2015: Besuch aus der Heimat

Und so kam es, dass meine Eltern mich in Warschau besuchten. Schon eine Woche eher waren sie aufgebrochen, um sich Breslau und Krakau anzuschauen und das verlängerte Wochenende verbrachten sie schließlich mit mir =)
Sogar ich konnte bei unseren Erkundungstouren noch neue Orte entdecken, neue Aussichten genießen und neue Gerichte probieren. Da in Polen an diesem Wochenende nicht nur die Maifeierlichkeiten abliefen, sondern auch Flaggen- (02.05) und Verfassungstag (03.05) war, passten wir hier und da eine kleine Militärparade und ein Freiluftkonzert ab. Dann war noch die erste Fontänen-Show dieser Saison und schlussendlich fuhr ich zum ersten Mal mit unserer neuen Metro-Linie – ja, dieses Wochenende war ein umwerfend schönes Wiedersehen gewesen – Danke an meine lieben Eltern!



Meine ersten Kisten auf dem Weg in die Heimat ...

Freitag, 8. Mai 2015

Mittwoch bis Montag, 13. - 20.04.2015: Auf dem "Pilgerweg des Vertrauens" – Ein Taizé-Treffen in Kiew


Das offizielle Taizé-Treffen startete am frühen Abend in der römisch-katholischen Alexanderkirche. Schon am Maidan waren erste Taizé-Schilder aufgehängt, um den Weg zu weisen und je näher man kam, desto mehr Leute traf man, die mit Wegweisern herumstanden und einen freundlich grüßten. Bei Keksen und Tee konnte man sich ein wenig entspannen und schon die ersten Kontakte knüpfen, bevor man in seiner Begrüßung das Teilnehmerheft, einen Metroplan und natürlich die wichtigen Noten bekam.
Nach dem gemeinsamen Abendgebet im Taizé-Stil zogen Olya, ich und ein paar Freunde zusammen los, um einen Kiewkuchen zu kaufen, denn Olya feierte an jenem Tag ihren 25. Geburtstag. Es war ein wundervolle Nacht im Mosaik-Park, mit lieben Menschen und süßen Verführungen.



Am Donnerstag stand eine Führung durch das Kiewer Höhlen- oder auch Heiliges Mariä-Himmelfahrt-Kloster an. Die Lawra (Form des monastischen Zusammenlebens und gleichzeitig Ehrentitel) wurde etwa Mitte des 11. Jahrhunderts vom Mönch Antonij gegründet, der sich schon um 1013 in alten Höhlen am Ufer des Dnepr als Einsiedler niedergelassen hatte. Nach und nach kamen mehr Mönche in die Gegend und lebten wie Antonij einzeln in den Höhlen und Grotten als Eremiten, versammelten sich aber zur gemeinsamen Liturgie in den zahlreichen, unterirdischen Kapellen und Räumen. Auch überirdisch wurde die Anlage durch den Bau der Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale und weiteren Kirchenbauten erweitert und wuchs so zu einem der bedeutendsten Klöster in Altrussland heran. Im 17. Jahrhundert wurde ihm der Ehrentitel „Lawra“ verliehen. Obwohl „Lawra“ nur die Organisation eines Klosters bezeichnet, in welchem Mönche eremitisch in Zellen leben, aber trotzdem einem gemeinsamen Abt unterstehen und sich zum Gebet versammeln, und hauptsächlich in frühen Palästina verwendet wurde, wurden in der russisch-orthodoxen Kirche nur besonders bedeutende und hochrangige Männerklöster mit diesem Titel bedacht.



Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Klosters von den deutschen Besatzern zerstört, um den unterdrückten Ukrainern ihre „identitätsstiftenden Kultstätten“ zu nehmen. Erst mit der politischen Wende unter Gorbatschow wurde das Kloster wieder für Mönche geöffnet. Große Teile werden heute als Museum genutzt und auch die Höhlen mit ihren über 100 in kleinen Seitennischen bestatteten Heiligen sind für Gläubige und Touristen zugänglich. Seit 1990 gehört der Komplex außerdem zum UNESCO-Weltkulturerbe und kann mit reichen historischen Kostbarkeiten sowie mit knapp 100m Höhe dem dritthöchsten orthodoxem Glockenturm aufwarten.
Nach dem Mittagessen trafen wir uns in der Universität mit den beiden Philosophen Constantin Sigov und Alexander Filonenko, welche uns auch am nächsten Tag noch begleiten sollten. Ersterer sprach über das Taizé-Lied „The kingdom of God is justice and peace and joy“ und warum das so sei. Nach dem Essen waren aber alle etwas träge und so gestaltete es sich auch für die frommen Brüder als schwierig, die Augen offen zu halten. Da wir unseren Zeitplan nicht recht einhalten konnten, kamen wir recht spät am Maidan an, weshalb die dazugehörige Führung auch kurz ausfiel, hatten wir schließlich eine Verabredung mit Bohdan Dzyurakh, Weihbischof der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, der mit uns eine Andacht zum Gedenken der während der Maidan-Demonstrationen getöteten Göttlichen 100“ feierte. Die ganze Institutska-Sraße hoch sind Bilder derer aufgestellt, die insbesondere zwischen dem 18. und 20. Februar während der Scharfschützenattacke aus dem Hotel Ukraina heraus kaltblütig ermordet wurden. Blumen, Kerzen, Bänder in ukrainischen Farben sowie zahlreiche Rosenkränze schmücken die bedrückenden Aufnahmen.

Am Maidan

Die Institutska-Straße hoch



Um nur einen ganz kurzen Exkurs zu geben (der keinerlei Anspruch auf Wahrheit hat, denn er beruft sich auch nur auf Recherche und dem, was mir in der Ukraine erzählt wurde, sowie einigen Überlegungen, die ich selbst für logisch und folgerichtig halte): Der sogenannte Euromaidan begann Ende November 2013, nachdem der damalige Präsident Wiktor Janukowytsch überraschenderweise das von vielen ersehnte Assoziierungsabkommen mit der EU nicht hatte unterzeichnen wollen. (Man beachte jedoch, dass sich z.B. auch unsere Kanzlerin Angela Merkel nur kurz vorher gegen das Abkommen ausgesprochen hatte, da sie die Ukraine noch nicht bereit dafür sah.) Die vorher weitestgehend friedlichen Studentenproteste für z.B. eine Lockerung der VISA-Bestimmungen eskalierten am 30. November, als bewaffnete Truppen der polizeilichen Spezialeinheit Berkut die Demonstranten unter dem Vorwand, einen Weihnachtsbaum aufstellen zu wollen, gewaltsam auseinandertrieben. Empört vom Vorgehen der Regierung gegen „ihre Kinder“ kamen im Dezember bis zu 500.000 Menschen auf dem Maidan zusammen, demonstrierten für den Rücktritt Janukowytschs und begannen mit der gewaltsamen Besetzung von öffentlichen Gebäuden wie dem Kiewer Rathaus. Zu dieser Zeit starteten die (vergleichsweise kleinen) Proteste auch in anderen ukrainischen Großstädten wie Lemberg. Außerdem organisierte sich sehr schnell ein großer Kreis Freiwilliger, die nach ihrer oder sogar anstatt ihrer Arbeit auf dem Maidan halfen Tee zu verteilen, Essen zu kochen oder Verwundete zu versorgen, aber auch Steine aus dem Asphalt zu klopfen, die als Wurfgeschosse dienen konnten.
Seit dem 18. Februar 2014 kam es auf dem Maidan noch einmal zu heftigeren Kämpfen zwischen Demonstranten und Polizei, bei welchen nach offiziellen Angaben insgesamt etwa 130 Oppositionelle getötet wurden. Die Wende brachte der 20. Februar: Das eigentlich ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen wurde besonders vom rechten Sektor der Maidan-Bewegung nicht anerkannt. Sowohl Polizei als auch Protestierende beschossen sich gegenseitig mit scharfen Waffen, bis sich die Berkut nach der Rückeroberung von Stadtgebiet unerwartet die Institutska-Straße hoch zurückzogen. Ihnen nachstürmende Demonstranten wurde dabei kaltblütig von Scharfschützen aus dem eigentlich von der Maidan-Bewegung besetzten Hotel Ukraina beschossen. Und das ist der Clou: Das stundenlange Massaker ließ Janukowytsch auch innerhalb seiner eigenen Partei den Rückhalt verlieren und er floh noch am Folgetag nach der Unterzeichnung des Vertrages zur Beilegung der Krise aus dem Land. Dass aber nachweislich (wie monatelange Recherchen verschiedener Wissenschaftler und Journalisten belegen) aus mehreren von der Maidan-Bewegung besetzten Gebäuden geschossen wurde und das sowohl auf Polizisten als auch auf Maidan-Teilnehmer sowie vollkommen Unbeteiligte und Journalisten (wie ballistische Befunde aufzeigen), wirft kritische Fragen auf und lässt die Vermutung zu, dass Mitglieder des rechten Sektors den Terror gezielt inszeniert hatten, um den Rücktritt Janukowytschs und somit den Machtwechsel zu erzwingen. Insgesamt kosteten die Kämpfe etwa 130 Oppositionelle das Leben, inoffizielle Quellen (wie Ärzte) berichten jedoch von um die 700 Opfern.

Am nächsten Tag stand ich vor Tau und Tag auf und machte mich, der liebevoll ausgedruckten Wegbeschreibung meiner Gasteltern folgend, auf den Weg zu einer Metrostation unweit unserer Wohnung, wo ein Bus unsere ganze Gruppe abholen und in das Dorf Lishnya (Лішня) bringen sollte. Obwohl uns eingetrichtert worden war, sehr pünktlich zu sein, warteten wir mehr als eine halbe Stunden auf die letzten Nachzügler und ich bereute sehr, mein Bett zu frühzeitig verlassen zu haben.
In Lishnya nahmen wir an der orthodoxen Liturgie zum Fest der „lebensspendenden Quelle“ teil, wobei es sich dabei sowohl um eine Marienikone handelte (Maria als lebensspendende Quelle) als auch um eine tatsächliche Quelle, zu der wir nach einem schmackhaften und reichlichen Mittagessen prozessierten. Zur Unterstützung hatten wir während der Messe ein vielseitiges Dokument gereicht bekommen, in welchem der gesamte Messablauf in Ukrainisch (sowie Russisch und Kirchenslawisch) und auf der anderen Seite auf Englisch abgedruckt war, sodass jeder dem Geschehen gut folgen konnte. Am Ende bedankte sich der Priester recht herzlich für unser Kommen und jeder bekam ein kleines, typisch ukrainisches Osterbrot geschenkt. Priester und Beschenkter küssten sich dabei nach der Übergabe als Zeichen gegenseitiger Achtung auf die Hand (und zwar gleichzeitig).


Als wir zur Prozession aufbrachen, schloss sich uns auch der Bischof der Region an. An der tief im Wald gelegenen Quelle fand ein kurzes Gebet statt, dann tauchte man das Kreuz 3 Mal in die Quelle, um sie somit zu segnen und zu bitten, sie möge nicht versickern, sondern weiterhin Leben spenden. Dann wurde ein Krug mit dem reinen Wasser gefüllt und alle kräftig abgespritzt. Hinterher konnte sich jeder selbst noch mit dem Quellwasser waschen, es trinken oder für später abfüllen. Auch die Kinder des Dorfes waren alle mit kleinen Pappbecherchen ausgestattet.




Der folgende Austausch beim BBQ im Wald war wunderschön, er kostete uns aber auch viel Zeit. Noch dazu kam, dass wir auf der Rückfahrt über 2h im Stau standen und so unsere Vesper mit dem Großerzbischof und damit Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, Seiner Heiligkeit Swjatoslaw Schewtschuk, verpassten. Wir hielten trotzdem das geplante Taizé-Gebet mit Anbetung am Kreuz in der Auferstehungskirche ab und es war bewegend, wie die Ukrainer diese ihnen vollkommen fremde Tradition aus Taizé aufnahmen und mitlebten. In dem folgenden Treffen im Keller der erst 2011 eingeweihten Kathedrale ergaben sich für mich erstmals gute und tiefgründige Gespräche, war vorher das Programm immer sehr voll gestopft gewesen und kaum Zeit und Raum für innigen Austausch geblieben.

Seine Heiligkeit Swjatoslaw Schewtschuk mit Bruder Alois

Anbetung am Kreuz

Mit dem Samstag brach auch schon unser letzter Tag in Kiew an. Ich packte bereits am Morgen meine Sachen und verabschiedete mich von meiner Gastfamilie, weil ich mein Gepäck bei Olya zwischenlagerte, die näher am Zentrum und am Bahnhof wohnte. Dann trafen wir uns in der Sophienkathedrale, einem christlichem Sakralbau aus dem 11. Jahrhundert, der mehrmals zerstört, aus- und umgebaut wurde, seit 1990 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und heute vielmehr als Museum dient. Nur einmal im Jahr zu Ostern darf jede in Kiew ansässige Konfession eine Liturgie in ihr feiern. Auch wir hatten eine touristisch angehauchte Führung, die sich jedoch als recht langweilig herausstellte, weshalb ich umso fröhlicher war, als hinterher die verschiedenen Workshops begannen. Man hatte sich bei der Anmeldung einen auswählen können und das Angebot vom Besuch von Flüchtlingen aus dem Osten der Ukraine über ein Treffen mit Priesterseminaristen in Lavra hin zu Mutter Theresa Schwestern machte die Entscheidung nicht einfach. Ich schloss mich schließlich einer Gruppe an, die verwundete Soldaten im Militärkrankenhaus besuchte. Der uns begrüßende Geistliche nannte uns zunächst ein paar erschreckende Fakten: So waren in dem Krankenhaus seit Ausbruch des Krieges in der Ostukraine schon mehr als 5000 Soldaten behandelt worden und das in einem Jahr. Verglichen mit dem Afghanistan-Konflikt, im Zuge dessen innerhalb von 10 Jahren etwa 750 Soldaten behandelt wurden, ist das eine große Zahl, zumal das Hospital in Kiew nicht das einzige in der Ukraine ist, welches momentan nur Soldaten aufnimmt. Zu Hochzeiten hätten die Ärzte stundenlang ohne Pause durchoperiert – 5 Tage und Nächte lang sei das Licht im OP nicht erloschen. Er berichtete uns auch von einem Patienten, der schon seit 8 Monaten im Koma läge. Anderen ginge es vergleichsweise gut: Zwei junge Männer, die wir besuchten, waren schon seit fast 10 Monaten hier. Der eine hatte eine tiefe Wunde am Fuß und Unterschenkel gehabt, ein französischer Arzt an der Front meinte, man müsse amputieren. Aber nach 28 Operationen und viel Ruhe kann der Junge nun schon fast wieder alleine laufen und ist oft mit Freunden und Familie unterwegs.

Sophienkathedrale

Marienbild aus Ostereiern

Kinder aus der ganzen Ukraine schreiben und malen
für die verwundeten Soldaten

Für die Ukrainer sind ihre Soldaten „Helden“ und das merkt man nicht nur an den 5 Orden, die jeder von ihnen schon bekommen hat. Auf mein zaghaft kritisches Nachfragen erklärte man mir, dass ja auch in der Bibel stünde, es gäbe nichts größeres, als sein Leben für einen Freund zu geben. Und ja – viele Soldaten schützen verletzte oder gefallene Kameraden mit ihrem eigenen Körper, um ihnen zu helfen und sie zu bergen.
Betroffen und nachdenklich erreichten wir unsere letzte Station, die orthodoxe Verklärungs­kathedrale. Dort feierten wir den Abenddienst, eine Art Vesper, mit, welche Antipascha genannt wurde. Als Antipascha bezeichnet man eigentlich den ersten Sonntag nach Ostern (okay, es war quasi die Vorabendliturgie). Da die Auferstehung Christi ein so hohes Fest ist, dass man ihm nicht nur ein Mal im Jahr gedenken will, feiert man sie an jedem achten Tag. (Das kommt wohl daher, dass der eine Weile nicht anwesende Apostel Thomas dem auferstandenen Jesus noch nicht begegnet war und am achten Tag nach seiner Auferstehung nicht so recht glauben konnte, dass es wirklich Jesus war, der sie da besuchen kam. Erst, als er seine Hände in die Wunden legen durfte, glaubte er. Das ständig neue Feiern der Auferstehung soll also auch dem Unglauben entgegenwirken.) Der erste Sonntag nach Ostern ist das erste Mal der achte Tag, an welchem gefeiert wird, obwohl nicht Ostern ist, „Antipascha“ bedeutet nämlich so viel wie „anstelle des Pascha“ oder eben „anstelle von Ostern“. Der Antipascha-Sonntag oder auch Thomas-Sonntag ist damit außerdem der wahrhaft achte Tag nach Ostern und gleichzeitig der „erste Tag“ der folgenden Tage (da er ja auch Pascha ist, wenn auch „nur“ Antipascha), ohne dass er von einer Nacht geteilt wird. Denn natürlich feiern wir rein rechnerisch jeden siebten Tag Eucharistie, in der Theologie der orthodoxen Kirche ist es aber jeder achte Tag, weil der erste und achte Tag stets zusammenfallen – ich sehe, ihr versteht das schon [1 2].
Während der Liturgie zeichneten sich alle anwesenden Priester mit einem Pinsel ein Ölkreuz auf die Stirn und am Ende der Feier konnte sich jeder Gläubige auch auf diese Art segnen lassen. Das gleiche geschah am Sonntag in der Messe. Als ich aber fragte, was es mit dieser Besonderen Form der Salbung auf sich hätte, entgegnete man mir, das sei nichts Ungewöhnliches und nicht nur für diesen speziellen Festtag reserviert.




Bevor unser Zug am Ende nach Lemberg aufbrach, wollte Olya uns noch mit einem echten ukrainischen Borschtsch überraschen und obwohl wir ihr einredeten, dass Rote Bete sehr lange zum Kochen brauche, ließ sie sich nicht davon abbringen. Also schälten wir Möhren, schnitten Pilze und brieten und kochten, was das Zeug hielt. Sogar das gerufenen Taxi – wir waren schon viel zu spät für die Straßenbahn – musste eine Weile auf uns warten. Und dann befand sich unser Zugabteil auch noch am Ende des Bahnsteigs. Trotzdem waren wir natürlich pünktlich und ich kam in den Genuss einer weiteren Fahrt im Sowjetzug.

Mein friedlicher Schlaf wurde vom dem lauten Gelaber unserer Zugbegleiter jäh unterbrochen, noch lange bevor wir unser Ziel erreicht hatten. In Lemberg selbst wurden wir dann von einem neuen Team Freiwilliger und Helfer sowie zahlreichen Keksen begrüßt und in einem langwierigen Prozess mit unseren Gastfamilien in Kontakt gebracht. Wir waren zwei deutsche Mädels bei unserer Gastmutter Tatjana, welche als Fremdsprache nur Polnisch beherrschte. Welch ein Glück, dass ich in den 7 Monaten meines Freiwilligendienstes schon eine solide Polnischbasis aufbauen konnte und nun eine erste Gelegenheit bekam, meine Fähigkeiten als Dolmetscher anzuwenden. Überhaupt war Polnisch besonders im ehemals polnischen Lemberg sehr nützlich: Irgendwann fragte ich die Leute schon gar nicht mehr, ob sie denn Englisch sprächen, sondern quatschte sie einfach auf Polnisch zu, denn selbst wenn sie es nicht sprachen, verstanden sie es doch. So konnte ich mich doch ganz gut durch die Stadt navigieren, auch wenn ich 5 Leute fragen musste, bis ich die Post fand. (Und man kann Briefmarken nur in der Post kaufen – warum kannten die alle den Standort ihres Postamtes nicht?)
Unsere Gastmutter fuhr mit uns und ihrer Tochter zum Sonntagsgottesdienst, wo wir noch 4 andere Teilnehmer der Pilgerfahrt trafen. Nach der Messe trafen wir uns mit dem Priester der Gemeinde und er berichtete von dem neuen Kirchenbau, vom Engagement der Gemeinde für den Krieg (sie stellen z.B. Tarnnetze her und sammeln Sachspenden für Flüchtlinge) und zeigte uns den Musikraum der Jugend. Hinterher waren wir zum Mittagessen eingeladen und bummelten ein bisschen durch die Stadt, bevor in der römisch-katholischen Verklärungskathedrale mit einem langen Taizé-Gebet der offizielle Abschluss des Treffens begangen wurde. Hinterher gab es aber noch die Möglichkeit an einer Stadtrundfahrt teilzunehmen oder gemeinsam ein Oster- und Folklore-Festival zu besuchen. Ich hatte eigentlich letzteres tun wollen, aber angesichts der sehr kalten und windigen Wetterlage und meiner nicht genügend warm haltenden Kleidung entschied ich mich dagegen und verbrachte den Abend stattdessen mit Olya, Lioba und deren Gasteltern in einem gemütlichen Café. 

In unserer Gastgemeinde

Mit meiner Gastmutter und -schwester

Beim Abschlussgebet

Den Montag nutzte ich für ein bisschen Sightseeing zusammen mit Lioba, bis mich mein (wahrhaft leerer)  Bus schließlich heil und sicher wieder nach Hause brachte.

Die Freiheitsstatur von Lember ...
die Fackel erschlug bei einem Absturz bereits einen Passanten

Tanzende Schirme vor dem Theater

So viel Schnee haben wir in Polen den ganzen Winter lang nicht gesehen

Montag bis Mittwoch, 13. - 15.04.2015: Kleine Erkundsungstouren in der Ukraine


Am Morgen musste ich zeitig aufstehen, um einen Bus um 5 Uhr zu erwischen. Aus irgendeinem Grund fuhr der Bus aber an jenem Tag nicht und so gingen wir zurück, ich schloss meine Augen noch mal für 20min (denn seit meiner Ankunft hatte ich ja über 24h am Stück nicht geschlafen) und endlich, endlich ging es los nach Kolomyja (Коломия). Von dort wollten mich Olya und ihr Vater abholen und sie freuten sich beide sehr, als ich sie mit dem Auferstehungsgruß „Христос воскрес!“ begrüßte. Man nutzt ihn hier in der Ukraine nach Ostern anstatt eines Hallos, je nach Region bis zu zwei Wochen, man könnte aber bis Pfingsten. Der Angesprochene antwortet „Воістину воскрес!” (Er ist wahrhaftig auferstanden!). Schon auf der Fahrt tauschten wir uns heftig über unsere Erlebnisse aus, sodass wir gar nicht mitbekamen, wir schnell die Zeit verging und wie im Flug waren wir auch schon im Olyas Heimatstadt Tschernowitz (Чернівці) angekommen. Nachdem wir uns mit einem leckeren Frühstück gestärkt hatten, brachen wir mit Olyas Cousine Julia bei wärmsten Sommerwetter zu einer Erkundungstour in die Stadt auf. Gleich bei ersten Station, der Universität, schaffte ich es meine Kamera fallen zu lassen, woraufhin sie nicht mehr fokussieren wollte. Also ließen wir sie ein wenig ausruhen und ich genoss es mal keine Bilder machen zu müssen, sondern andere machen zu lassen.

Mit Olya im Universitätsgarten ...

... und in der Uni


Am frühen Abend nahmen wir einen Nachtzug nach Kiew. Verglichen mit dem baugleichen Sowjetzug in Armenien bot dieser hier einen Haufen Komfort: Es gab Luftmatratzen, Laken für das Bett und zum Überziehen der Decke, sogar ein Handtuch und dicke, bauschige Kissen. Der Tee kostete 5 ­UAH, was auch ziemlich billig war, meinte Olya.
War es beim Einsteigen noch brühheiß gewesen, stimmte uns das bald in kalten Regen umschlagende Wetter schon mal auf den wechselhaften April ein. Olya nutzte die friedlichen Stunden, um mir mehr über ukrainische Geschichte, die Maidan-Proteste und die Hungerkatastrophe 1932/33 zu erzählen. 
In Kiew kamen wir mit 10 Minuten Verspätung an. Während mich das nicht sonderlich störte, da ich die alltäglichen Verspätungen der Deutschen Bahn gewohnt bin, regte Olya das schon ziemlich auf und sie war sogar überrascht zu hören, dass im ach so pünktlichen Deutschland gerade die Züge oft auf sich warten ließen.
Ich traf mich mit meinen Gastgebern Olya und Sergej und bei Tee und Osterkuchen tauschten wir uns in einem englisch-deutsch-polnischen Sprachgemisch aus, Sergej hatte nämlich mal in der deutschen Firma gearbeitet und seit einem Jahr lernen beide Polnisch, weil sie nach Polen immigrieren wollen. Es sollte sich also zeigen, dass sich meine Bemühungen mit der polnischen Sprache auszahlten. Sie erzählten mir z.B. über die Katastrophe in Tschernobyl: Sergej, der damals als im nur etwa 120km entfernten Kiew gelebt hatte, wurde von seinen Eltern verboten nach draußen zu gehen. Außerdem musste er bald nach der Katastrophe für 3 Monate in ein Kamp im Westen des Landes, um dem Fallout nicht so stark ausgesetzt zu sein. Als ich meinen Gasteltern von meinen Handyproblemen erzählte und sie mir auch nicht helfen konnten, boten sie mir einfach ihres an. Das ist ukrainische Gastfreundschaft.
Den Nachmittag verbrachte ich allein in der Innenstadt, kraxelte auf so manchen Hügel, denn Kiew ist wie Rom auf sieben Hügeln errichtet, und besuchte viele Kirchen. Über das St.-Michaelskloster ist interessant zu erfahren, dass die Glocken des Turm in der gesamten Geschichte nur zwei Mal geläutet haben, denn sie sollten die Einwohner der Stadt vor Gefahr warnen: das erste Mal im 13. Jahrhundert bei der Invasion Kiews durch die Tataren, das zweite Mal war an dem Tag der Maidan-Proteste, als die Spezialeinheit Berkut die Studenten gewaltsam auseinandertrieb.

St.-Michaelskloster

St.-Andreas-Kirche


Am Mittwochmorgen regnete es sehr stark. Ich wollte mir einen Park mit historischen Gebäuden anschauen, aber angesichts der Wetterlage ließ ich zu, dass wir das Frühstück bis mittags ausdehnten und brach erst dann mit genialer Wegbeschreibung und geborgtem Regenschirm (denn ich hatte meinen in den Bergen vergessen) auf. Dank mehrerer ausgedruckter Karten hatte ich keinerlei Probleme Mamajewa Sloboda (Мамаєва Слобода) zu finden. Von einer Schulklasse abgesehen war ich auch allein und konnte den sprießenden Frühling an der frischen Luft ganz in Ruhe genießen.

Direkt neben neuen Wolkenkratzern ...




Donnerstag, 7. Mai 2015

Freitag bis Sonntag, 10. - 12.04.2015: Orthodoxe Ostern in einem ukrainischen Bergdorf


Mein Freitag sollte stressig werden: Ich hatte noch nicht gepackt, ich hatte meine Kuchen noch nicht gebacken, die Hefe war eh schon alt und ich musste mir Gedanken machen, was ich mitnehmen sollte und wollte und wie ich es mitnehmen würde … Ich setzte also meinen Teig an, hängte meine Wäsche auf in der Hoffnung, sie möge rechtzeitig genug trocknen, ich suchte ein paar Sachen zusammen, klebte meine Eier fertig, formte Zöpfe und buk sie, formte weitere Zöpfe und packte Dinge in Iras großen Rucksack. Schließlich brach ich frühzeitig auf, um auch unter allen Umständen meinen Bus zu erreichen. Ich war sehr zeitig, der Bus kam gegen 10, wo er eigentlich abfahren sollte, und dann brauchten wir eine geschlagene Stunde, um alles Gepäck und alle Leute in den anfangs leeren Bus zu stopfen. 
An der Grenze hatten wir schon eine große Verspätung und standen dann noch ewig herum, bis wir endlich dran waren, dann kam ein schnucker Pole durch und sammelte die Pässe ein, kam ewig nicht wieder, kam wieder, gab uns den ganzen Kram zurück und wir brachen an die nahe ukrainische Grenze auf, wo sich das ganze wiederholte, nur dass der Grenzpolizist nicht so gut aussah, viel professioneller arbeitete und deshalb auch nicht so viel Zeit brauchte. 
In Lemberg mussten wir alle umsteigen. Jetzt übernahm eine ukrainische Kompanie den Bus. Ich schrieb  meiner Freundin Olya, dass wir viel Verspätung haben würden, bekam aber keine Antwort und wunderte mich schon, zumal mein Akku schon vor dem Senden lautstark ankündigte, bald den Geist aufgeben zu wollen. Ein junger Ukrainer machte dann seinen Platz für ein Ehepaar frei und gesellte sich zu mir, natürlich mit der Absicht, sich zu unterhalten. Aber das kam mir gerade recht und weil er in Polen studiert, sprachen wir zuerst sehr viel auf Polnisch. Es war eine gute Übung für mich und wir hatten die ganze Zeit etwas zu erzählen, vor allem auch, weil Igor das Gespräch stets am Leben hielt. Wir sprachen über unsere Arbeiten, die Situation in der Ukraine, orthodoxe Ostertraditionen … am Ende waren wir gegen 15.00 in Iwano-Frankiwsk und Olya hatte noch immer nicht geantwortet. Der Bahnhof war auch nicht in der Nähe und so schlug Igor vor, Olya mal anzurufen. Ein Mann mit ukrainischer Karte bot uns sein Telefon an, stellte aber bald fest, dass die Nummer gar nicht erreichbar war. Was nun? Wir fuhren also mit dem Bus zum (weit entfernten) Bahnhof, um ein wenig Internet abzufassen. Und siehe da … vor dem Eingang lief uns Olya in die Arme. Überglücklich verabschiedete ich mich von Igor und ging mit Olya zu Mittag essen. Wir kauften meine Fahrkarte und sie erklärte mir, wie ich schlussendlich zu ihr gelangen könnte. Da wir bei dem ganzen Gequatsche total die Zeit vergaßen, musste ich meine Wareniki für 3 UAH in eine Plastikbox packen lassen, welche in meinem Rucksack einfach aufging und mir eine fettige Bescherung bereitete.
Zum Bus mussten wir auch rennen, dann kaufte mir Olya noch eine Telefonkarte und sagte dem Fahrer, wo er mich rausschmeißen solle. Und dann fuhren wir in einem vollkommen überhitzten Bus stundenlang durch die Prärie. Irgendwann konnte ich nichts mehr ausziehen und hatte auch nichts mehr zu trinken – ich schaute wohl immer so mitleidig zu meinem Fahrer, ob meine Station endlich da sei, dass er mir schließlich etwas Wasser anbot. An unserem zweiten großen Pausenstop zeigte er mir dann drei Finger. Ach ja, noch 3 Stationen, dann hätte ich es geschafft. Dass er eigentlich 3h gemeint hatte, wurde mir spätestens dann klar, als wir schon viel mehr als 3 Dörfer passiert hatten und keine auch nur im Entferntesten eine hölzerne Kirche gehabt hatte.
Überdies verbrachte ich die erste halbe Stunde damit, mit meiner neuen SIM-Karte zu kämpfen. Zuerst vergaß ich die Hälfte des Aufladekods, hinterher konnte ich aber immer noch niemanden anrufen und das Senden von Nachrichten schlug auch fehl, sodass ich auch niemanden auf meine Ankunft vorbereiten konnte.
Die Kirche meines Dorfes lag ganz am Ende. Ich dachte schon, wir würden einfach fortfahren, weil der Fahrer die Kirche nicht fand, aber stattdessen begrüßte mich eine einladende Treppe hinauf zu einer wunderschönen Holzkirche, neben dem bunten Friedhof inmitten von grünen Wiesen. Es war noch etwas hell, trotz 5-stündiger Gorkelei. Ich steuerte das Haus an, das am ehesten wie ein Wohnhaus aussah und siehe da, ein Mädchen meines Alters öffnete mir und schließlich kam auch ihr Bruder Pavlo bald herbei gesprungen, um sich um mich zu kümmern. Ja, vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich zu Gast bei der Familie des Priesters war und dass das gar nicht verwunderlich ist, da der niedere Klerus in der orthodoxen Kirche heiraten darf.
Nachdem ich mich ein wenig ausgeruht hatte, erzählte mir mein Gastbruder von einigen Besonderheiten der Karpaten. In Kryworiwnja (Криворівня) gibt es zum Beispiel eine ganz besondere Weihnachtstradition: Nach Weihnachten ziehen, natürlich rein männliche, Sängergruppen zwei Wochen lang bis Jesu Taufe durch das Dorf und besuchen alle Häuser. Sie singen an jeder Tür Weihnachtslieder und das bis zu 4h pro Haus, denn wenn der Herr des Hauses die Sänger nach innen einlädt, werden die Stimmbänder gehörig strapaziert. Andererseits auch der Magen, da man den ganzen Tag ordentlich zulangen soll. Ausgestattet sind die Sänger mit schweren, schwarzen Wollkostümen, Äxten und Hörnern sowie der „Trembita“, einer Art langem Alpenhorn aus Birkenholz. Das Singen in der Gruppe ist harte Arbeit, weshalb man bei der Aufnahme in den Chor eine Art Vertrag unterzeichnet und sich damit verpflichtet, jedes Jahr (zumindest für ein paar Tage) mit umherzuziehen. Zur Aufnahme wird der Neuling von jedem Gruppenmitglied mit der Axt geschlagen und muss, vom Alter unabhängig, einen Wodka-Shot trinken.


Nachdem wir noch ein paar Vorbereitungen getroffen hatten (XB aus Nelken in Butter gesteckt etc.), duschte ich mich und zog mich um. Doch dann bot mir Vater Iwan, mein Gastvater an, für die Messfeier die typisch huzulische Tracht zu tragen – welch eine Ehre, so etwas hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen. Und natürlich sagte ich ja. Also streifte ich das typisch bestickte Kleid über, dann die beiden schweren Rockteile. Schließlich schnürte mir Vater Iwan mit dem Gürtel die Taille eng, bevor ich noch die Wolljacke überzog, eine Perlenkette um den Hals gelegt bekam und alle mit meinem Versuch belustigte, das Kopftuch selbst zu binden. Tadaa … da stand ich, schon gar nicht mehr von den Einheimischen zu unterscheiden.


Die ersten beiden Stunden in der orthodoxen Messfeier, welche um Mitternacht begann, wurden vom gemischten Chor viele Psalmen gesungen. In für mich zufälligen und unregelmäßigen Abständen kamen der Priester, sein Diakon und seine Ministranten mit Kerzen und Weihrauch heraus, zogen durch die ganze Kirche und inzensierten die Ikonen. Am Weihrauchfass waren dabei wie typisch in der orthodoxen Kirche viele kleine Glöckchen befestigt, welche die ganze Zeit bimmelten.


Pavlo erzählte mir, dass am Karfreitag das Grabtuch Christi in einer feierlichen Prozession um die Kirche getragen worden war. Bis zur Osternacht lag dieses Tuch dann in der Kirche aufgebahrt und die Gläubigen kamen und küssten es (so wie ja oft Ikonen und wichtige Bücher auch geküsst werden). Nun aber wurde in diesem ersten Teil der langen Messefeier das Leichentuch fortgenommen und schon stellten sich alle zur Prozession bereit. Verschiedene Kreuze wurden von Männern getragen, die jeweils in doppelter Ausführung vorhandenen Banner jeweils von Männern und Frauen, wobei alle Frauen links und alle Männer rechts standen. Vier junge Frauen trugen ein Marienbild vorneweg. Dann umrundeten wir drei Mal die Kirche. Bei der dritten Umrundung machten wir nach jedem Viertel eine Pause und sangen „Lumen Christi“ (natürlich in Ukrainisch), also insgesamt auch drei Mal. Es folgten ein sehr schöner Antwortgesang und für eine ganze weitere Stunde Psalmen. Dann wurde das Johannesevangelium in Griechisch, Latein, Kirchenslawisch und Ukrainisch vorgetragen. Bei der letzten Variante, der ukrainischen, wurden nach jeder Phrase Glocken geläutet und alle bekreuzigten sich. Es folgte eine kurze Ansprache, ich glaube, es war die Verlesung eines Briefes, aber sicher bin ich mir nicht, denn ich habe natürlich nichts verstanden. 


Mich übermannte während des langen Stehens und Wartens irgendwann die Müdigkeit und ich ertappte mich dabei, wie ich einschlief, ein bisschen nach vorne kippte und nur durch den Adrenalinstoß des Fallens hinterher wieder hellwach war. Schließlich rückte endlich nach der langen Wandlungszeremonie die Kommunionfeier näher, zu der mich Vater Iwan ausdrücklich und herzlich eingeladen hatte. Zuerst gingen die Männer zur Kommunion. Erst danach waren wir Frauen dran, ich bin aber nicht sicher, ob das wirklich eine Regel oder nur Tradition ist. Auf dem Weg zum Priester küssten alle die Ikonen, die wir passierten, und schlugen ein Kreuzzeichen. Dann bekam man ein Stück in Wein eingelegtes Brot als Leib und Blut Christi. Dabei wurde der jeweilige Namenspatron mit angerufen – Vater Iwan musste tatsächlich alle Namen seiner Gemeinde auswendig kennen. Eine Art festliches Lavabo diente zum Abtupfen des Mundes, zum Abschluss bekam man einen Schluck Wasser und ein weiteres Stück eines sehr großen, süßlichen Brotes, welches mit der ganzen Gemeinde geteilt wurde.

Am Sonntagmorgen nach der langen Nacht versammelten sich alle mit ihren Osterkörben um die Kirche, etwa gegen 7:30 Uhr. Wie in Polen pflegt man in der Ukraine die Tradition bestimmte Speisen für das Fest segnen zu lassen. In das ukrainische Körbchen gehören auf jeden Fall Käse (regional, u.a. geräuchert), Braten und Würste, Salz und Zucker, Pascha, Pisanki, Meerrettich, Butter mit Dekoration aus Anis sowie ein Lamm. Das ganze etwa 1500 Seelen umfassende Dorf hatte sich um die Kirche geschart und Korb an Korb bildete einen großen Kreis um das Gotteshaus. Der Priester zog nun samt Wimpeln und Auferstehungsbild von einem kleinen Chor begleitet an den Leuten vorbei und räucherte sie zuerst ein bisschen mit Weihrauch ein, bevor in der zweiten Runde alles mit Weihwasser besprengt wurde. Männer gingen herum und sammelten von jeder Familie ein Ei ein, welche als Geschenk für die Familie des Priesters gegeben werden. Auch ich durfte mir von der großen Zahl roher, wundervoll bemalter Eier ein paar als Andenken mitnehmen.



Wir machten uns nun auf den Weg zu den Großeltern zum Osterfrühstück, zu welchem roter Borschtsch serviert wurde und außerdem in Gelee eingekochtes Fleisch (холодне з курки), was man mit unserer Sülze vergleichen könnte, nur dass die Konsistenz etwas weicher ist. Natürlich vergriffen wir uns auch an den geräucherten Käsereitern, den Hefekuchen und belegten unsere Kartoffelbrote mit Wurst, Räucherfleisch und Rote Bete-Meerrettich-Aufstrich. Der Großvater konnte ein bisschen Deutsch, zeigte mir seine in München gedruckten Bücher und schenkte mir am Ende ein in ukrainischer Sprache verfasstes Werk seines Institutes, welches sich, wie ich es verstand, mit ukrainischer Kultur befasste. Wenn ich es jetzt nur noch lesen könnte, würde ich es ja glatt mal durcharbeiten … ;)
Nach dem Frühstück war ein Vormittagsschläfchen angesagt, da wir ja die ganze Nacht nicht geschlafen hatten. Trotzdem war ich kaum müde und so chillten Pavlo und ich aus auf die Veranda, klappten das Sofa aus und genossen das warme Wetter und die frische Luft.
Die ersten Glocken erklangen vielleicht gegen 2 oder 3 Uhr. Es ist Tradition, dass jeder, der will, die 3 Tage nach Ostern, also bis zum Dienstag, die Glocken läuten darf, um von Jesu Auferstehung zu verkünden. Gerade bei Kindern ist das natürlich beliebt und da die ganz Kleinen nicht in die Osternacht mitkommen und Kinder ja generell immer sehr viel Energie haben, war es im vorangegangenen Jahr anscheinend unmöglich gewesen war, einzuschlafen, weil ständig jemand die Glocken klingen ließ.
Endlich brachen wir zu einer kleinen Tour auf die Berge auf. Oh, wie hatte ich das hügelige Land vermisst, da Warschau ja flacher ist als eine Scheibe Brot und auch meine Ausflüge bisher eher in Städte geführt hatten, die auch nicht allzu bergig waren. Es ließ meine Seele lachen steil bergan über eine ehemalige Weide zu stapfen, kleinen, bellenden Hündchen entgegen, den Blick über das Tal genießend. Trotz des zugezogenen Wetters hatten wir uns zu dieser Tour entschlossen, ausgestattet mit meinem schon etwas mitgenommenen SAG-Regenschirm. Natürlich gerieten wir aber geradewegs in einen kurzen, aber heftigen Regenguss, sodass wir tropfnass wieder im Tal ankamen.


Auf dem Kirchhof hatten sich die ersten Kinder zum Spielen versammelt. Eine weitere Tradition ist nämlich, dass die Kinder (und natürlich auch die Erwachsenen) in der Woche nach Ostern auf dem Kirchplatz spielen dürfen (was sonst der Anstand verbietet). Nachdem ich also die Glocken geläutet hatte, schlossen wir uns der kleinen Gruppe an. Aber erst nach der Nachmittagsandacht, als wirklich viele zusammengekommen waren, machten das Spielen großen Spaß. Wir spielten die ukrainische Variante vom Plumpssack. Jeder, der gefangen wurde, wurde zum Frosch und musste in der Mitte warten. Am Ende bekamen alle Frösche eine Strafe. Ich wurde zuerst mit meiner Strafe bedacht und durfte 10 Runden um die Kirche rennen. Der nächste musste 30 Liegestütze machen, die meisten anderen hatten aber nicht so anstrengende Strafen. Naja, ich hatte ja die ganze Osterzeit nur gegessen … das kleine Sportprogramm tat mir ganz gut.


Dann bauten wir eine Kapelle aus Leibern, ebenfalls Tradition und anscheinend auch nur in diesem Dorf. Unsere Jungs nahmen uns Mädels auf die Schultern, ein kleiner Junger kam als Kirchturm oben drauf und dann zogen wir so um die Kirche und riefen „Христос воскрес!“ (Christus ist auferstanden!). Später bauten wir dann noch zwei Kapellen und jenes Mal durften die kleineren Kinder auf unsere Schultern.