Donnerstag, 7. Mai 2015

Freitag bis Sonntag, 10. - 12.04.2015: Orthodoxe Ostern in einem ukrainischen Bergdorf


Mein Freitag sollte stressig werden: Ich hatte noch nicht gepackt, ich hatte meine Kuchen noch nicht gebacken, die Hefe war eh schon alt und ich musste mir Gedanken machen, was ich mitnehmen sollte und wollte und wie ich es mitnehmen würde … Ich setzte also meinen Teig an, hängte meine Wäsche auf in der Hoffnung, sie möge rechtzeitig genug trocknen, ich suchte ein paar Sachen zusammen, klebte meine Eier fertig, formte Zöpfe und buk sie, formte weitere Zöpfe und packte Dinge in Iras großen Rucksack. Schließlich brach ich frühzeitig auf, um auch unter allen Umständen meinen Bus zu erreichen. Ich war sehr zeitig, der Bus kam gegen 10, wo er eigentlich abfahren sollte, und dann brauchten wir eine geschlagene Stunde, um alles Gepäck und alle Leute in den anfangs leeren Bus zu stopfen. 
An der Grenze hatten wir schon eine große Verspätung und standen dann noch ewig herum, bis wir endlich dran waren, dann kam ein schnucker Pole durch und sammelte die Pässe ein, kam ewig nicht wieder, kam wieder, gab uns den ganzen Kram zurück und wir brachen an die nahe ukrainische Grenze auf, wo sich das ganze wiederholte, nur dass der Grenzpolizist nicht so gut aussah, viel professioneller arbeitete und deshalb auch nicht so viel Zeit brauchte. 
In Lemberg mussten wir alle umsteigen. Jetzt übernahm eine ukrainische Kompanie den Bus. Ich schrieb  meiner Freundin Olya, dass wir viel Verspätung haben würden, bekam aber keine Antwort und wunderte mich schon, zumal mein Akku schon vor dem Senden lautstark ankündigte, bald den Geist aufgeben zu wollen. Ein junger Ukrainer machte dann seinen Platz für ein Ehepaar frei und gesellte sich zu mir, natürlich mit der Absicht, sich zu unterhalten. Aber das kam mir gerade recht und weil er in Polen studiert, sprachen wir zuerst sehr viel auf Polnisch. Es war eine gute Übung für mich und wir hatten die ganze Zeit etwas zu erzählen, vor allem auch, weil Igor das Gespräch stets am Leben hielt. Wir sprachen über unsere Arbeiten, die Situation in der Ukraine, orthodoxe Ostertraditionen … am Ende waren wir gegen 15.00 in Iwano-Frankiwsk und Olya hatte noch immer nicht geantwortet. Der Bahnhof war auch nicht in der Nähe und so schlug Igor vor, Olya mal anzurufen. Ein Mann mit ukrainischer Karte bot uns sein Telefon an, stellte aber bald fest, dass die Nummer gar nicht erreichbar war. Was nun? Wir fuhren also mit dem Bus zum (weit entfernten) Bahnhof, um ein wenig Internet abzufassen. Und siehe da … vor dem Eingang lief uns Olya in die Arme. Überglücklich verabschiedete ich mich von Igor und ging mit Olya zu Mittag essen. Wir kauften meine Fahrkarte und sie erklärte mir, wie ich schlussendlich zu ihr gelangen könnte. Da wir bei dem ganzen Gequatsche total die Zeit vergaßen, musste ich meine Wareniki für 3 UAH in eine Plastikbox packen lassen, welche in meinem Rucksack einfach aufging und mir eine fettige Bescherung bereitete.
Zum Bus mussten wir auch rennen, dann kaufte mir Olya noch eine Telefonkarte und sagte dem Fahrer, wo er mich rausschmeißen solle. Und dann fuhren wir in einem vollkommen überhitzten Bus stundenlang durch die Prärie. Irgendwann konnte ich nichts mehr ausziehen und hatte auch nichts mehr zu trinken – ich schaute wohl immer so mitleidig zu meinem Fahrer, ob meine Station endlich da sei, dass er mir schließlich etwas Wasser anbot. An unserem zweiten großen Pausenstop zeigte er mir dann drei Finger. Ach ja, noch 3 Stationen, dann hätte ich es geschafft. Dass er eigentlich 3h gemeint hatte, wurde mir spätestens dann klar, als wir schon viel mehr als 3 Dörfer passiert hatten und keine auch nur im Entferntesten eine hölzerne Kirche gehabt hatte.
Überdies verbrachte ich die erste halbe Stunde damit, mit meiner neuen SIM-Karte zu kämpfen. Zuerst vergaß ich die Hälfte des Aufladekods, hinterher konnte ich aber immer noch niemanden anrufen und das Senden von Nachrichten schlug auch fehl, sodass ich auch niemanden auf meine Ankunft vorbereiten konnte.
Die Kirche meines Dorfes lag ganz am Ende. Ich dachte schon, wir würden einfach fortfahren, weil der Fahrer die Kirche nicht fand, aber stattdessen begrüßte mich eine einladende Treppe hinauf zu einer wunderschönen Holzkirche, neben dem bunten Friedhof inmitten von grünen Wiesen. Es war noch etwas hell, trotz 5-stündiger Gorkelei. Ich steuerte das Haus an, das am ehesten wie ein Wohnhaus aussah und siehe da, ein Mädchen meines Alters öffnete mir und schließlich kam auch ihr Bruder Pavlo bald herbei gesprungen, um sich um mich zu kümmern. Ja, vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich zu Gast bei der Familie des Priesters war und dass das gar nicht verwunderlich ist, da der niedere Klerus in der orthodoxen Kirche heiraten darf.
Nachdem ich mich ein wenig ausgeruht hatte, erzählte mir mein Gastbruder von einigen Besonderheiten der Karpaten. In Kryworiwnja (Криворівня) gibt es zum Beispiel eine ganz besondere Weihnachtstradition: Nach Weihnachten ziehen, natürlich rein männliche, Sängergruppen zwei Wochen lang bis Jesu Taufe durch das Dorf und besuchen alle Häuser. Sie singen an jeder Tür Weihnachtslieder und das bis zu 4h pro Haus, denn wenn der Herr des Hauses die Sänger nach innen einlädt, werden die Stimmbänder gehörig strapaziert. Andererseits auch der Magen, da man den ganzen Tag ordentlich zulangen soll. Ausgestattet sind die Sänger mit schweren, schwarzen Wollkostümen, Äxten und Hörnern sowie der „Trembita“, einer Art langem Alpenhorn aus Birkenholz. Das Singen in der Gruppe ist harte Arbeit, weshalb man bei der Aufnahme in den Chor eine Art Vertrag unterzeichnet und sich damit verpflichtet, jedes Jahr (zumindest für ein paar Tage) mit umherzuziehen. Zur Aufnahme wird der Neuling von jedem Gruppenmitglied mit der Axt geschlagen und muss, vom Alter unabhängig, einen Wodka-Shot trinken.


Nachdem wir noch ein paar Vorbereitungen getroffen hatten (XB aus Nelken in Butter gesteckt etc.), duschte ich mich und zog mich um. Doch dann bot mir Vater Iwan, mein Gastvater an, für die Messfeier die typisch huzulische Tracht zu tragen – welch eine Ehre, so etwas hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen. Und natürlich sagte ich ja. Also streifte ich das typisch bestickte Kleid über, dann die beiden schweren Rockteile. Schließlich schnürte mir Vater Iwan mit dem Gürtel die Taille eng, bevor ich noch die Wolljacke überzog, eine Perlenkette um den Hals gelegt bekam und alle mit meinem Versuch belustigte, das Kopftuch selbst zu binden. Tadaa … da stand ich, schon gar nicht mehr von den Einheimischen zu unterscheiden.


Die ersten beiden Stunden in der orthodoxen Messfeier, welche um Mitternacht begann, wurden vom gemischten Chor viele Psalmen gesungen. In für mich zufälligen und unregelmäßigen Abständen kamen der Priester, sein Diakon und seine Ministranten mit Kerzen und Weihrauch heraus, zogen durch die ganze Kirche und inzensierten die Ikonen. Am Weihrauchfass waren dabei wie typisch in der orthodoxen Kirche viele kleine Glöckchen befestigt, welche die ganze Zeit bimmelten.


Pavlo erzählte mir, dass am Karfreitag das Grabtuch Christi in einer feierlichen Prozession um die Kirche getragen worden war. Bis zur Osternacht lag dieses Tuch dann in der Kirche aufgebahrt und die Gläubigen kamen und küssten es (so wie ja oft Ikonen und wichtige Bücher auch geküsst werden). Nun aber wurde in diesem ersten Teil der langen Messefeier das Leichentuch fortgenommen und schon stellten sich alle zur Prozession bereit. Verschiedene Kreuze wurden von Männern getragen, die jeweils in doppelter Ausführung vorhandenen Banner jeweils von Männern und Frauen, wobei alle Frauen links und alle Männer rechts standen. Vier junge Frauen trugen ein Marienbild vorneweg. Dann umrundeten wir drei Mal die Kirche. Bei der dritten Umrundung machten wir nach jedem Viertel eine Pause und sangen „Lumen Christi“ (natürlich in Ukrainisch), also insgesamt auch drei Mal. Es folgten ein sehr schöner Antwortgesang und für eine ganze weitere Stunde Psalmen. Dann wurde das Johannesevangelium in Griechisch, Latein, Kirchenslawisch und Ukrainisch vorgetragen. Bei der letzten Variante, der ukrainischen, wurden nach jeder Phrase Glocken geläutet und alle bekreuzigten sich. Es folgte eine kurze Ansprache, ich glaube, es war die Verlesung eines Briefes, aber sicher bin ich mir nicht, denn ich habe natürlich nichts verstanden. 


Mich übermannte während des langen Stehens und Wartens irgendwann die Müdigkeit und ich ertappte mich dabei, wie ich einschlief, ein bisschen nach vorne kippte und nur durch den Adrenalinstoß des Fallens hinterher wieder hellwach war. Schließlich rückte endlich nach der langen Wandlungszeremonie die Kommunionfeier näher, zu der mich Vater Iwan ausdrücklich und herzlich eingeladen hatte. Zuerst gingen die Männer zur Kommunion. Erst danach waren wir Frauen dran, ich bin aber nicht sicher, ob das wirklich eine Regel oder nur Tradition ist. Auf dem Weg zum Priester küssten alle die Ikonen, die wir passierten, und schlugen ein Kreuzzeichen. Dann bekam man ein Stück in Wein eingelegtes Brot als Leib und Blut Christi. Dabei wurde der jeweilige Namenspatron mit angerufen – Vater Iwan musste tatsächlich alle Namen seiner Gemeinde auswendig kennen. Eine Art festliches Lavabo diente zum Abtupfen des Mundes, zum Abschluss bekam man einen Schluck Wasser und ein weiteres Stück eines sehr großen, süßlichen Brotes, welches mit der ganzen Gemeinde geteilt wurde.

Am Sonntagmorgen nach der langen Nacht versammelten sich alle mit ihren Osterkörben um die Kirche, etwa gegen 7:30 Uhr. Wie in Polen pflegt man in der Ukraine die Tradition bestimmte Speisen für das Fest segnen zu lassen. In das ukrainische Körbchen gehören auf jeden Fall Käse (regional, u.a. geräuchert), Braten und Würste, Salz und Zucker, Pascha, Pisanki, Meerrettich, Butter mit Dekoration aus Anis sowie ein Lamm. Das ganze etwa 1500 Seelen umfassende Dorf hatte sich um die Kirche geschart und Korb an Korb bildete einen großen Kreis um das Gotteshaus. Der Priester zog nun samt Wimpeln und Auferstehungsbild von einem kleinen Chor begleitet an den Leuten vorbei und räucherte sie zuerst ein bisschen mit Weihrauch ein, bevor in der zweiten Runde alles mit Weihwasser besprengt wurde. Männer gingen herum und sammelten von jeder Familie ein Ei ein, welche als Geschenk für die Familie des Priesters gegeben werden. Auch ich durfte mir von der großen Zahl roher, wundervoll bemalter Eier ein paar als Andenken mitnehmen.



Wir machten uns nun auf den Weg zu den Großeltern zum Osterfrühstück, zu welchem roter Borschtsch serviert wurde und außerdem in Gelee eingekochtes Fleisch (холодне з курки), was man mit unserer Sülze vergleichen könnte, nur dass die Konsistenz etwas weicher ist. Natürlich vergriffen wir uns auch an den geräucherten Käsereitern, den Hefekuchen und belegten unsere Kartoffelbrote mit Wurst, Räucherfleisch und Rote Bete-Meerrettich-Aufstrich. Der Großvater konnte ein bisschen Deutsch, zeigte mir seine in München gedruckten Bücher und schenkte mir am Ende ein in ukrainischer Sprache verfasstes Werk seines Institutes, welches sich, wie ich es verstand, mit ukrainischer Kultur befasste. Wenn ich es jetzt nur noch lesen könnte, würde ich es ja glatt mal durcharbeiten … ;)
Nach dem Frühstück war ein Vormittagsschläfchen angesagt, da wir ja die ganze Nacht nicht geschlafen hatten. Trotzdem war ich kaum müde und so chillten Pavlo und ich aus auf die Veranda, klappten das Sofa aus und genossen das warme Wetter und die frische Luft.
Die ersten Glocken erklangen vielleicht gegen 2 oder 3 Uhr. Es ist Tradition, dass jeder, der will, die 3 Tage nach Ostern, also bis zum Dienstag, die Glocken läuten darf, um von Jesu Auferstehung zu verkünden. Gerade bei Kindern ist das natürlich beliebt und da die ganz Kleinen nicht in die Osternacht mitkommen und Kinder ja generell immer sehr viel Energie haben, war es im vorangegangenen Jahr anscheinend unmöglich gewesen war, einzuschlafen, weil ständig jemand die Glocken klingen ließ.
Endlich brachen wir zu einer kleinen Tour auf die Berge auf. Oh, wie hatte ich das hügelige Land vermisst, da Warschau ja flacher ist als eine Scheibe Brot und auch meine Ausflüge bisher eher in Städte geführt hatten, die auch nicht allzu bergig waren. Es ließ meine Seele lachen steil bergan über eine ehemalige Weide zu stapfen, kleinen, bellenden Hündchen entgegen, den Blick über das Tal genießend. Trotz des zugezogenen Wetters hatten wir uns zu dieser Tour entschlossen, ausgestattet mit meinem schon etwas mitgenommenen SAG-Regenschirm. Natürlich gerieten wir aber geradewegs in einen kurzen, aber heftigen Regenguss, sodass wir tropfnass wieder im Tal ankamen.


Auf dem Kirchhof hatten sich die ersten Kinder zum Spielen versammelt. Eine weitere Tradition ist nämlich, dass die Kinder (und natürlich auch die Erwachsenen) in der Woche nach Ostern auf dem Kirchplatz spielen dürfen (was sonst der Anstand verbietet). Nachdem ich also die Glocken geläutet hatte, schlossen wir uns der kleinen Gruppe an. Aber erst nach der Nachmittagsandacht, als wirklich viele zusammengekommen waren, machten das Spielen großen Spaß. Wir spielten die ukrainische Variante vom Plumpssack. Jeder, der gefangen wurde, wurde zum Frosch und musste in der Mitte warten. Am Ende bekamen alle Frösche eine Strafe. Ich wurde zuerst mit meiner Strafe bedacht und durfte 10 Runden um die Kirche rennen. Der nächste musste 30 Liegestütze machen, die meisten anderen hatten aber nicht so anstrengende Strafen. Naja, ich hatte ja die ganze Osterzeit nur gegessen … das kleine Sportprogramm tat mir ganz gut.


Dann bauten wir eine Kapelle aus Leibern, ebenfalls Tradition und anscheinend auch nur in diesem Dorf. Unsere Jungs nahmen uns Mädels auf die Schultern, ein kleiner Junger kam als Kirchturm oben drauf und dann zogen wir so um die Kirche und riefen „Христос воскрес!“ (Christus ist auferstanden!). Später bauten wir dann noch zwei Kapellen und jenes Mal durften die kleineren Kinder auf unsere Schultern.

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