Sonntag, 23. November 2014

Montag bis Freitag, 17. - 21.11.2014: Eine ganz normale Arbeitswoche

Nein, ganz normal war diese Woche keineswegs. Das ging schon los, als ich am Montag in den Kindergarten kam und Lena, eines meiner Kinder, abholte – dafür muss man wissen, dass wir eine Rollstuhleinfahrt haben, die in die untere Etage, quasi in den Keller führt, wo die Kinder ihre Garderobe haben. Von dort holen wir die Kinder immer ab, um sie in die Gruppen zu bringen, nachdem ihre Eltern sie umgezogen haben. Und war gerade gekommen und hatte meine Schuhe gewechselt und konnte Lena so einfach mit nach oben nehmen, da trug mir Lenas Mutti auf, dass wir nach ihrer Brille schauen sollten, weil sie sie zu Hause nicht gefunden hatten. Okay, das wäre ja an sich kein Problem gewesen. Hätte es nicht am Freitag davor so eine Begebenheit gegeben: Wir waren mit all unseren Kindern in die Rehabilitation gegangen, weil wir mit 8 Kindern nur zu zweit gewesen waren. Lena hatte im Bällebad gesessen und auf einmal fing Aga, eine Erzieherin in meiner Gruppe, an, hektisch zwischen den Bällen nach Lenas Brille zu suchen. Ich sagte ihr jedoch, die Brille sei oben im Raum, immerhin war ich grade vom Teekochen zurückgekehrt und hatte die teuren Spezialgläser auf dem Fensterbrett liegen sehen.
Als Lenas Mutter nun aber nach der Brille suchte, lief es mir heiß den Rücken herunter: Hatte ich mich vielleicht geirrt? Hatte ich die Brille vielleicht nur vorher beim Fenster liegen sehen und mir deshalb eingebildet, sie sei noch immer dort? Eine wilde Suche begann und mir kam eines der Kindergedichte in den Sinn, die ich ständig vorlese. Der eigentliche Titel lautet Gdzie są moje okulary, man kann ihn aber auch ganz gut zu Gdzie są Leny okulary umdichten – irgendwann werde ich dieses Gedicht herausbringen, aber im Moment hab ich zu viel um die Ohren.
Am Dienstag nahm ich anstatt meines Polnischkrams Bastelzeug mit zur Arbeit, um ein bisschen produktiv auf die Advents- und Weihnachtszeit hinzuarbeiten. Aber dann nutzte ich doch die Anwesenheit von Therapeutin Ingrid, um an meiner polnischen Knochenmarkspenderegistrierung zu arbeiten. Pesel? Hab ich natürlich nicht. Das ist eine Nummer, die auf dem polnischen Ausweisen steht und die sich aus Geburtsdatum und irgendwelchen anderen Zahlen zusammensetzt. Wir versuchten also, die Stiftung anzurufen, um uns zu erkundigen, was ich da jetzt angeben solle, aber es hob niemand ab. Ich habe jetzt eine E-Mail geschrieben, mal schauen, ob ich eine Antwort erhalte.
Der Mittwoch verlief ausnahmsweise wieder etwas unspektakulärer, mal davon abgesehen, dass wir Studenten hatten und ich zwischen Kinderfüttern und Stundenbeginn 8 Mützen designen und ausschneiden musste, dann kamen mal eben noch 8 Jacken, 8 Paar Schuhe und Schals hinzu. Doch die Studenten waren besser als die letzten, sie quatschten nicht die ganze Zeit und halfen und sogar beim Basteln mit den Kindern, als jedes dann ein aufgemaltes Mädchen mit all den ausgeschnittenen Papierklamotten für die kalte Jahreszeit anzog. Ja, wir haben immer mal Studenten in unserem Unterricht. Sie studieren Sozialarbeit mit behinderten Kindern oder etwas ähnliches, auf jeden Fall sollen sie sich bei uns ihr zukünftiges Arbeitsfeld anschauen. Sie gehen auch zur Rehabilitation der Kinder, was vermutlich spannender ist als unsere Stunde, deren Erfolg immer von den anwesenden Kindern und deren Laune abhängt.
Besonders anstrengend in dieser seltsamen Zeit, in der alle Erzieher, aber ausnahmsweise mal keine Kinder krank sind, sodass wir immer sehr viel zu tun haben, war der Donnerstag, an dem ich Opfer eines heimtückischen Rote-Bete-Angriffs wurde. Es gab Kartoffelbrei und Kotlet und wunderbar weiches Rote-Bete-Gemüse zum Mittag. Wenn ich Lena füttere sitze ich immer zwischen ihr und Natalia, unserem intelligentesten Mädchen. Natalia kann allein essen, aber weil sie ihren Mund nicht so weit öffnen kann, schieben ihre oberen Zähne immer das halbe Essen vom Löffel wieder runter und es landet dann auf ihrem Lätzchen, auf dem Tisch oder auf dem Boden ... wenn es ganz blöd kommt. Weil so viel daneben fällt, ist sie relativ schnell mit dem Essen fertig. Nein, man kann nicht sagen, dass sie weniger isst ... sie kaut auch einfach schnell, es fällt nicht andauernd wieder etwas aus ihrem Mund heraus, sodass sie effektiver essen kann. Sobald sie fertig ist, schiebt sie ihren Teller weg ... leider immer zu Lena, die nach allem greift, was in ihre Nähe kommt. Na toll, Natalias Hände sind eh dreckig, aber Lenas ... och menno, das muss nicht sein. Also schiebe ich den Teller jedes mal wieder weg und sage ihr, dass sie warten soll, bis es etwas zu trinken gibt, weil die anderen Kinder nicht so schnell essen. Sie schob also ihren Stuhl ein wenig vom Tisch, weil sie eine Serviette für ihre Hände greifen wollte, welche aber schon ganz schön dreckig und nicht mehr zum Säubern zu gebrauchen war und so griff sie nach meinem Arm. Ich zog ihn weg, erklärte ihr, dass mein Pulli doch keine Serviette sei, und fütterte weiter ... als ich schon wieder eine Hand an einem Pulli spürte ... die lauter Rote Bete an ihm abwischte ... Grrr, das regte mich schon fast ein bisschen auf, ich wurde als streng und schimpfte mit Natalia, legte ihre Hände zurück auf den Tisch und sagte ihr, sie solle warten. Ich säuberte ihre Hände ein bisschen, meinen Ärmel auch und fütterte weiter. An diesem Donnerstag hatte Natalia aber anscheinend schlechte Laune und schwups war schon wieder eine Hand, diesmal an meiner Hose, und schmierte Rote Bete daran ab. Langsam nahm ich das persönlich – musste aber doch auch ein bisschen lachen, als mich Aga von der anderen Seite des Tisches angrinste und schließlich mit ein bisschen mehr Autorität und Polnischkenntnis durchsetzte, dass ich kein Handtuch sei.
Ein erfreuliches Ereignis gibt es aber doch zu berichten, denn an diesem Donnerstag begann ich meine eigenen, kleine Therapie mit Piotr. Piotr hat cerebral palsy, seine Gelenke sind sehr steif und es fällt ihm schwer seinen Kopf zu halten. Er sitzt entweder in einem gut gepolsterten Kinderwagen oder liegt auf einem Kissen oder in einer Art kleinem Liegestuhl. Er mag es, wenn man ihm Bücher vorliest und versteht anscheinend auch eine ganze Menge. Besonders fröhlich ist er, wenn man ausländische Sprachen wie Englisch oder Deutsch spricht, ich meine mich zu erinnern, dass seine Großmutter aus Deutschland kommt. Ich saß gerade neben ihm und weil kein anderes Kind mit mir spielen wollte (ja, manche spielen eben einfach nicht) nahm ich einen kleinen Ball, der irgendwo auf dem Teppich herumkullerte, fuhr damit über seinen Ball und wiederholte immer wieder Round and round it goes and where it stops nobody knows. Er liebte es und am Ende lachte er immer. Und weil er es auch beim 20ten Mal noch mochte, überlegte ich mir etwas Neues und legte ihm den Ball in seine Hand. Nun muss man wissen, dass seine Fingergelenke steif sind und die Hand normalerweise zu einer lockeren Faust gekrümmt ist. Ich sagte ihm also (alles auf Englisch), er solle seine Hand öffnen, dann legte ich den Ball hinein, pulte seinen Daumen hervor und legte ihn so um die Kugel, dass sie nicht herausfiel. Dann wartete ich, bis Piotrs Muskelspannung nachlies und der Ball aus der Hand fiel. Diese Übung machte ich mit beiden Händen und wiederholte sie mehrmals und als es ihn immer noch nicht langweilte, beschloss ich zu überprüfen, wie viel Piotr versteht. Also nahm ich ein sehr großes, einfarbiges Spielzeug und zeigte es ihm. Ich erklärte ihm, er solle seine Hand nur öffnen, wenn der Ball dieselbe Farbe habe wie das Spielzeug. Dann hielt ich ihm immer das Spielzeug und zuerst einen falschen Ball vor die Augen und dann den Ball vor die Hand und forderte ihn auf, den Ball zu fassen, wenn er dieselbe Farbe hatte. Und zu meiner Freude und Überraschung lachte Piotr zwar immer vor Freude, öffnete seine Hand aber nur, wenn der Ball die gleiche Farbe hatte wie das Spielzeug. Ich war sehr stolz auf ihn!
Am Freitag wiederholte ich die Übung, diesmal mit 4 Bällen in allen Grundfarben (am Vortag hatte ich kein grün). Auch diesmal lag er immer richtig, nur einmal nicht: Als ich ihm einen grünen Gegenstand zeigte und den roten Ball daneben hielt. Da öffnete er immer wieder seine Hand, was mich zu der Vermutung kommen ließ, er könnte unter Umständen eine Rot-Grün-Sehschwäche haben. Nun, ich sage mal, er ist so stark gehindert, dass es vermutlich egal ist, ob er die Sehschwäche hat oder nicht. Aber ich werde es im Auge behalten und durch verschiedene andere Spiele zu überprüfen versuchen. 

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